yogabuch / pathologie / tibialis posterior syndrom
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Tibialis Posterior Syndrom / Tibialis Posterior Dysfunktion / Posterior Tibial Tendon Dysfunction / Tibialis Posterior Tendinose / PTTD
Definition
Typischerweise progredient verlaufende Degeneration der Sehne des Tibialis posterior, der als zweitstäkster Muskel des Unterschenkels gilt. Die Sehne des Tibialis Posterior hat anatomisch eine eher ungünstige Lage, indem sie direkt am Innenknöchel vorbei läuft. Sie beginnt bereits ca 5-6 cm über dem Malleolus medialis und wird vom diesem von einem fast vertikalen zu einem fast horizontalen Verlauf umgelenkt. Dazu besitzt sie dort eine fibrokatilaginäre Struktur. Es ist bisher ungeklärt, ob die Sehne distal des Malleolus medialis, also auf dem Fußrücken, einen minderdurchbluteten Bereich besitzt. Petersen et al. berichteten darüber etwa 4 cm proximal des Ansatzes am Os naviculare.
Der Hauptansatz der Sehne ist am Os naviculare sowie plantarseitig des Naviculocuneifome-Gelenks und des Tarsometatarsalgelenks 1. Weitere mögliche plantare Ansätze sind die Ossa cuneiformia, Metatarsalbasen 2-5 und das Os cuboideum. Die Ansatzsehnen können Verbindungen zu anderen Sehnen gesehen haben z.b der des Fibularis longus, der des Flexor hallucis brevis und der des Abductor hallucis. Durch seinen Verlauf ist der Tibialis Posterior Supinator und Plantarflexor und trägt zum Erhalt des Fußlängsgewölbes bei.
Unter noch nicht genügend geklärten Bedingungen entsteht eine schmerzhafte Reizung der Sehne vor allem im Bereich unterhalb des
Malleolus medialis, wo neben einer Neovaskularisation sich vermehrt Knorpel bildet. Die Störung, beinhaltet anfänglich noch keine Kraftminderung oder Funktionsstörung des Tibialis Posterior. reduziert sich die Zugfestigkeit, und die Sehne elongiert, was die Basis für eine Insuffizienz des Muskels schafft, was als PTTD bezeichnet wird. Dieser Prozeß kann schließlich zur Ruptur führen. Traumatische Rupturen der Sehne sind hingegen sehr selten und geschehen hauptsächlich bei Eversionstraumata.
Überlicherweise führt das Tibialis-Posterior-Syndrom zu vermindertem Halt des Fußlängsgewölbes, das muskulär maßgeblich vom Tibialis-Posterior gehalten wird, und unbehandelt fast immer in Folge zum Knick–Senkfuß bzw. später Knick–Plattfuß (Pes planovalgus)führt, dessen häufigste Ursache die PTTD ist.
Durch die Insuffizienz des Tibialis-Posterior wird der mediale Aspekt des Rückfußes destabilisiert, was andere Stabilisatoren stärker fordert und schließlich überfordert wie die talonaviculare Kapsel, das Lig. calcaneonaviculare plantare, welches auch als Spring Ligament bezeichnet wird, und das Lig. deltoideum. Dies führt zur Ausbildung eines Knickfußes, der weiter dadurch verstärkt wird, dass der Verlauf der Achillessehne nach lateral wandert und der Trizeps Surae dadurch zum Pronator wird. Destabilisierung des Calocalcalcaneonaviculargelenks wiederum führt zu einer Abduktion des Mittelfußes. Im Rahmen dieses Geschehens kann plötzlich ein Schmerz am medialen Fußrand in zwischen Kalkaneus und Calcaneonaviculargelenk auftreten, der sich unter Belastung verstärkt und chronifizieren kann. Ruptiert die Sehne, kann der Schmerz wieder verschwinden. Bei einem sich ausbildenden Rückfußvalgus kann der Schmerz lateral stärker ausgeprägt sein als medial (subfibulares Impingement). Belastbarkeit und schmerzfreie Gehstrecke sind dann eingeschränkt.
Normalerweise bleiben bei diesem Störungsbild die Fibularissehnen auf der Außenseite des Knöchels unbeeinträchtigt, die mit der Sehne des Tibialis Posterior ein Zügelsystem bilden, so daß dieses aus dem Gleichgewicht gerät und neben dem Senkfuß auch eine Valgusstellung des Fersenbeins entsteht.
Strom schlägt eine Klassifizierung in sechs Grade vor:
- Stadium 1: Schmerzen und Schwellung im Bereich der Tibialis-posterior-Sehne durch Tendosynovialose, meist am Innenknöchel. Der Fuß ist noch nicht deformiert. Belastungsschmerzen sind vorhanden, aber der Patient kann noch auf den Zehenspitzen stehen.
- Stadium 2 wird unterteilt in a und b: beginnender Rückfußvalgus des Fußes.
- Stadium 2a: Schmerzen auf der Innenseite des Fußes, noch flexibler Rückfußvalgus, ggf. Abduktion und Supination des Mittelfußes, Zehenstand ist noch möglich, keine Kraftminderung bei Zehenstand
- Stadium 2b: wie 2a, jedoch mit Kraftminderung bei Zehenstand
- Stadium 3: kontrakter Rückfußvalgus, ggf. Abduktion und Supination des Mittelfußes, Verkürzung des Trizeps surae. Der Zehenstand ist stark eingeschränkt oder nicht mehr möglich.
- Stadium 4 wird unterteilt in a und b:
- Stadium 4a: wie 3, aber zusätzlich valgische Inkongruenz des OSG ohne symptomatische Arthrose
- Stadium 4b: wie Stadium 4a, aber nun wird die Arthrose des OSG symptomatisch
Je nach Ausprägung ist das Gangbild pathologisch verändert. Wird diese Situation über längere Zeit nicht zumindest mit Einlagen behandelt, verändert sich auch das Gleichgewicht der Unterschenkelmuskeln, und es kommt zur kontrakten Stellung (Stadium 3), die dann eine OP-Indikation darstellt. In diesem Stadium zeigt sich ein prominierender medialer Malleolus, ein Rückfußvalgus sowie durch die leichte Abduktion des Fußes, ein Too-Many-Toes-Sign und ein auffälliger Single Heel Rise Test. Dabei sollte sich mit Abheben der Ferse die Valgusstellung des Rückfußes begradigen. Unterbleibt die Korrektur oder ist ein Abheben der Ferse unmöglich, ist die Tibialis Posterior-Sehne völlig insuffizient oder bereits rupturiert.
Es wird auf eine Reponierbarkeit des Calcaneus in die physiologische Position geprüft, bei der sich häufig eine Supination des Mittel- und Vorfußes zeigt, weiter auf Freigängigkeit des OSG. Wird bei aufgesetztem Fuß der Calcaneus in die physiologische Position gebracht und MTP1 hebt sich, wird das als positives First Metatarsal Rise Sign bezeichnet wird. Die Kraft des Tibialis posterior wird im Seitenvergleich eingeschätzt, in dem bei plantarflektiertem, proniert-abduziertem Fuß der Patient den Fuß adduzieren soll. In dem Zusammenhang kann auch noch der Jack Test / Hübscher Test durchgeführt werden, der auf Suffizienz des Windlass-Mechanismus prüft: durch Dorsalflexion des Hallux muss sich das Fußlängsgewölbes verstärken.
Zuweilen verändert sich auch das Os naviculare im Bereich des Ansatzes der Tibialis Posterior Sehne und wächst nach dorsal, kommt also dem Verlauf der Sehne entgegen. Der Kalkaneus neigt sich nicht nur (unten) nach außen, sondern neigt sich mit der Abflachung des Fußlängsgewölbes auch vorn nach unten, was die Arbeit des Tibialis Posterior erschwert und zu weiterer Progredienz führt. Besteht eine Tibialis-posterior-Tendovaginitis, treten die Schmerzen rasch auf, die Sehne fühlt sich dann dick und geschwollen an. Spontanheilung kommt kaum vor. Die Progredienz schließt sportliche Aktivitäten immer weitergehend aus. Die Gelenke Talonaviculargelenk, Calcaneocuboidalgelenk und Subtalargelenk sind zunehmendem arthrotischen Risiko ausgesetzt.
Die Strom-Stadien 1 und 2a sind noch konservativ therapierbar mit Orthesen und Kräftigungstraining. Wenn nötig, werden NSAR gegen Schmerzen gegeben. Das Kräftigungstraining bezieht sich vor allem auf die Plantarflexion, wo der Tibialis posterior einfacher angesprochen werden kann als bei der Supination. Ab Stadium 2b wird nach Schmerzsymptomatik behandelt und der geschädigte Fuß orthetisch unterstützt. Persistiert der Schmerz bei klinisch nachgewiesener PTTD, besteht eine OP-Indikation. Ist die Sehne nicht wiederherstellbar, so wird über eine Plastik aus der Flexor hallucis longus– oder Flexor digitorum longus-Sehne entschieden. Die Wahl beider Sehnen hat Vor- und Nachteile. Eine weitere Option stellt eine Tenodese zwischen Tibialis posterior und Flexor digitorum longus-Sehne dar. Beim Cobb-transfer word ein distaler Anteil der Sehne des Tibialis anterior verwendet. Gegebenenfalls müssen Weichteile wie die Gelenkkapsel oder das Spring-ligament (Lig. calcaneonaviculare plantare), möglicherweise auch das Delta-Band angepasst werden. Eine weitere Option bietet die Calcaneus-Osteotomie. Weitere mögliche Osteotomien sind eine Keilosteotomie des Os cuneiforme 1. Außerdem kommen diverse Arthrodesen in Frage. Zum klinischen Ergebnis, den Risiken und Nebenwirkungen dieser Verfahren gibt es mittlerweile einige Arbeiten.
Epidemiologie
Frauen sind häufiger betroffen, W:M 3:1. Das Anfangsstadium ist so unspezifisch, daß es nicht selten übersehen wird. Obwohl das Störungsbild Plattfuß bereits vor 100 Jahren hinreichend verbreitet und bekannt war und auch die Tibialis-Posterior-Dysfunktion in den Fällen des erworbenen Plattfußes seit Jahrzehnten als überwiegend verantwortlich erkannt worden war, wurde dies erst 1983 durch Johnson wieder in den Fokus gerückt, der dann 6 Jahre später zusammen mit Strom eine einfache Klassifizierung einführte. Danach werden drei Stadien unterschieden:
- entzündliches Stadium
- gerissene oder insuffiziente (degenerierte überdehnte) Sehne
- degenerativer und fixierter Rückfußvalgus
Ursache
- chronischer Overuse, wiederholte Mikrotaumata (feine Längsrisse)
- chronische Tendovaginitis der Tibialis-posterior-Sehne
- chronische Tendinitis der Tibialis-posterior-Sehne
- Trauma
Prädisponierend
- Übergewicht
- Hypertonie
- Läufer mit Knick–Senkfußneigung
- Frauen mittleren Alters
- Junge Sportler
- Hypertonie
- RA
- Psoriasis Arthritis
- seronegative Arthropathien
- Diabetes mellitus
- Os supranaviculare
- Instabilitäten des Rückfußes
- Plattfuß
- Steriodgaben
- Overuse
- vorausgeganene Traumata, insbes. regionäre Frakturen
Diagnose
- Muskelkraft-Testung, klinische Funktionstests
- Pedobarographie (statische und kinetische Darstellung der Druckverhältnisse an der Fußsohle)
- Sono (zeigt Entzündung), MRT (zeigt Sehnendegeneration: Grad 1 nur Paratendinitis, Grad 2 elongiert mit partieller Ruptur, Grad 3 Längs- oder Querriss), Röntgen (zeigt Knochenstellung)
- Schmerzauslösung /-verstärkung beim Zehenstand
- Arthrosezeichen in Grad 3
- Tests und Zeichen: Too Many Toes Sign ab Grad 2, Single Heel Rise Test, First Metatarsal Rise Sign
Symptome
- Zu Beginn nur Schmerz, aber noch keine Kraftminderung des Tibialis Posterior, später Sehnenschwächung und Funktionsstörung
- Beschwerden oder gefühlte Schwäche beim Gehen, verminderte Gehstrecke
- Grad 1: keine Fehlstellung, Grad 2: manuelle Ausgleichbarkeit, später (Grad 3) kontrakte Fehlstellung
- Druckschmerzhaftigkeit im Verlauf der Tibialis Posterior-Sehne am und vor (distal) dem Innenknöchel
- Bei Sehnenriss plötzliches Abflachen des Fußlängsgewölbes
- Schwellung am Innenknöchel
- medial betontes Verschleißbild der Schuhe
- mit dem Grad zunehmende Schwäche des Zehenstandes
Komplikationen
- Arthrose distaler Fußgelenke
- Hallux valgus
- Hammerzehen
- Ruptur der Tibialis Posterior-Sehne
Therapie
Die Therapie ist abhängig vom Stadium
- Schonung bis Belastung schmerzfrei erfolgen kann, PT, Antiphlogistika/NSAR, Unterstützung des Fußlängsgewölbe mit Einlagen, Abfedern der Ferse, Kräftigungstraining, Dehnungtraining / physiotherapeutische Lockerung, für längere Zeit feste Schuhe (feste Sohle, hoher Schaft), Iontophorese
- OP zur Wiederherstellung einer physiologischen Funktion der Einheit aus Tibialis-posterior-Muskel und Sehne, ggf. Calcaneusosteotomie
- zusätzlich OP der Fußdeformität: autologes Sehnentransplantat, Osteotomie mit bis zu 3 Arthrodesen
Asana-Praxis
Hier ist die Kräftigung der Unterschenkelmuskulatur insgesamt gefragt. Über allem steht natürlich der Versuch, den Tibialis posterior in einen bestmöglichen Funktionszustand zu bringen, was bei fortgeschrittenem Syndrom allerdings kaum noch möglich sein dürfte: ist der Fuß einmal kontrakt und nicht mehr reponierbar, stellt dies nach vielfältiger Aussage eine OP-Indikation dar, um weiteren Schäden am Bewegungsapparat vorzubeugen. Diesseits dessen sollten keine Dehnungen in Richtung Pronation des Fußgelenks geübt werden, von denen es ohnehin nur sehr wenige gibt, z.B. malasana. Im Gegenteil können viele Haltungen mit Supination des Fußgelenks geübt werden, um eine erhöhte Spannung im lateralen Fußgelenk und Unterschenkel abzubauen. Dazu bieten sich Stehhaltungen wie parsvakonasana, prasarita padottanasana mit weitem Fußabstand genauso an wie der Lotussitz und seine Varianten, die sich von vorgenanngen Stehhaltungen wesentlich unterscheiden, dadurch daß sie einen relativ weitgehend plantarflektierten Fuß haben und letztere nicht.
Die zweite wichtige Funktion des Tibialis posterior ist die muskuläre Unterstützung der Zuggurtung des Fußlängsgewölbes. Hier sollte für eine gute Funktion der relevanten Muskeln in Unterschenkel, vor allem des
sowie im Fuß selbst gesorgt werden, also der
- Abduktor hallucis
- Flexor hallucis brevis
- Flexor digitorum brevis
- Quadratus plantae
- Abduktor digiti minimi pedis
Da der Tibialis posterior ein supinierenderPlantarflexor ist, sollten seine Synergisten bezüglich beider Bewegungen im Trizeps surae zumindest auf eine gute Funktionsfähigkeit überprüft werden, auch wenn deren Schwäche üblicherweise nicht Teil des Pathomechanismus ist.
Wichtiger dürfte sein, den Rest der supinatorisch wirksamen Muskeln auf einen guten Stand zu bringen, auch wenn keiner von denen die Zuggurtung des Fußlängsgewölbes unterstützt. Dies sind vor allem supinatorische Fußheber wie
Asanas
Asanas in 862: Kräftigung der Supinatoren des Fußgelenks