yogabuch / pathologie / proximal hamstring tendonipathy
Inhaltsverzeichnis
PHT – Proximal Hamstring Tendonipathy: Reizung des Ursprungs der Ischiocruralen Gruppe
Definition
Insertionstendopathie im Sinne eines Reizzustands des Ursprungs der Ischiocruralen Gruppe am Sitzbein. PHT tritt meist als Overuse-Syndrom auf. Verbreitet bei Langstreckenläufern, Sprintern und Hürdenläufern, aber auch einigen Mannschaftssportarten, die abrupte Richtungswechsel erfordern, die von der Muskulatur hohe Leistungsspitzen verlangen, teils auch in exzentrischen Belastungsimpulsen. Upright running, also das fortbewegungsarme Laufen mit weit zur Brust gerissenem Knie, neigt auch durch seine großen Hüftflexionswinkel und die darin geforderte starke negative Beschleunigung gegen Ende der Bewegung dazu, PHT hervorzurufen. Aber auch Nichtsportler können davon betroffen sein. Beim Langlauf und viel mehr noch beim Sprinten wird die Phase, in der die Bewegung des vorderen Unterschenkels im Kniegelenk verzögert wird und in der exzentrischen Kontraktion Energie speichert, als besonders kritisch angesehen, da die Energiespeicherung hauptsächlich in der Elastizität der Sehnen erfolgt. Diese Art von Energiespeicherung ist für ein höheres Leistungsniveau beim Laufen und Sprinten aber unerläßlich, da es vor allem effizienzsteigernd ist. Die Anforderungen an die Ischiocrurale Gruppe und ihren Ursprungsbereich steigen mit Geschwindigkeit, Schrittlänge und (positivem) Neigungswinkel, also beim bergauf Laufen. Es handelt sich um ein Störungsbild mit unterschiedlichem Anteil an peritendinöser Inflammation, Degeneration und Anrissen. Üblicherweise startet das Geschehen mit kleinen, klinisch inapparenten Schäden und steigert sich unter wiederholter Belastung bis zum bemerkten Aufflammen. Dabei spielt auch die Relation zwischen Belastung (Intensität und Frequenz) zu Selbstheilung eine Rolle. Der etwas tiefer liegende Ansatz des Semimembranosus ist häufiger betroffen als der gemeinsame Ansatz des Bizeps (caput longum) mit dem Semitendinosus. Die Dicke, Fasrigkeit und schlechte Durchblutung des sehnigen Ansatzes am Knochen erschwert die Heilung. Schmerzauslösende Tätigkeiten führen zum Erhalt des Reizzustandes. Während des Laufens (weit abgeschwächt gilt dies für das Gehen ähnlich) hat die Ischiocrurale Gruppe drei Aufgaben:
- Verzögern der Kniestreckung durch eine exzentrische Kontraktion, beginnend etwa mit dem Unterschreiten von 30° Knieflexion. Diese Verzögerung schützt das Kniegelenk vor Überstreckung, die Ischiocrurale Gruppe vor Zerrung und leitet die kinetische Energie des Unterschenkels nach proximal.
- Maßgebliche Mitwirkung an der Hüftextension, die hauptsächlich den Vortrieb erzeugt
- Unterstützung des Gastrocnemius bei der Beugung des Kniegelenks
Ätiologisch werden mehrere Faktoren diskutiert:
- Scherkräfte zwischen Ansatz und Sitzbein
- Kompression des betroffenen Bereichs
- Die Verdrängung des Sehnenbereichs durch das Sitzbein bei weiter Flexion
Ursache
- relative Überlastung und inadäquate Trainingssteierung
- Vorschädigungen
- Übermäßgie oder nicht hinreichend aufgewärmt ausgeführte Auslösebewegungen wie Ausfallschritte, Bergauf Laufen, Sprints
- große Leistungsanforderung an die Ischiocrurale Gruppe in weiter Flexion im Hüftgelenk
- intensive Dehnungen der Ischiocruralen Gruppe in weiter Flexion im Hüftgelenk bei (näherungsweise oder vollständig) gestrecktem Kniegelenk wie im Yoga, Pilates,..
- Längeres Sitzen kann die Situation verschlechtern (Versorgungslage, Verkürzung)
- Training in bereits ermüdetem Zustand
Prädisponierend
– Verhalten
- Trainings- oder Materialmängel
- abträgliche Umweltbedingungen wie Kälte, Feuchtigkeit
– Bewegungsapparat
- Fehlstellungen
- Beinlängendifferenzen
- Muskuläre Dysbalancen
- verminderte Flexibilität, vor allem, aber nicht nur der Ischiocruralen Gruppe
- Schwäche des Bandapparates mit Folge lockerer Gelenkführung
- Propriozeptive Defizite
- bereits druckschmerkhafte Sitzbeinhöcher
- Schwächen anderer Bereiches des Bewegungsapparates, die im Bewegungsablauf relevant sind, also z.B. des Cores beim Running
- Dysfunktionalität des Beckens (inkl. ISG)
- bekannte oder unbekannte Vorschäden relevanter Bereiche
- schwache, belastungsinadäquate Muskulatur
- fehlende longitudinale Muskeladaption
– sonstige Faktoren
- Weibliches Geschlecht
- Alter: Massen- und Kraftverlust der Muskulatur, Degeneration der Sehnen
- Übergewicht
Symptome
- profunde, einige Zentimeter vom Sitzbein aus entlang der Ischiocruralen Gruppe ausstrahlende Bewegungs- und vor allem Belastungsschmerzhaftigkeit, die von der Höhe der Belastung, aber vor allem auch der Geometrie abhängt (weite Flexion im Hüftgelenk bei mehr oder weniger gestrecktem Kniegelenk) abhängt (nahe der Streckung des Kniegelenks weit eher auftretend).
- Druckschmerzhaftigkeit des Bereichs
- Auslösung und Verschlechterung durch Laufen, Sprinten, (tieferes) Kniebeugen, Ausfallschritte, weite Vorwärtsbeugen
- meist einschleichender Verlauf
- schmerzauslösende Belastung verschlechtert
- möglicherweise Verschlechterung durch längeres Sitzen
Therapie
- Vermeidung auslösender und erhaltender Faktoren, insbesondere schmerzhafte Winkel in Vorwärtsbeugen und schmerzhaft hohe Lasten
- regeneratives Kräftigungstraining nur bis vor die Schmerzauslösung, mit eher kleineren bis mitleren Lasten und höheren Wiederholungszahlen
- Erhalt und Förderung der Beweglichkeit
- Auffinden und Beseitigen von prädisponierenden Faktoren
NHK
Asana-Praxis
Hier sei auf die Erklärung in der FAQ verwiesen.
Asanas
Neben verschiedenen Haltungen, die die Ischiocrurale Gruppe als Extensoren des Hüftgelenks in mindestens mittlerer Sarkomerlänge stärken wie
- utkatasana
- rechtwinklige uttanasana
- rechtwinkliger Schulterstand
- rechtwinkliger Kopfstand
- Kriegerstellung 3
- Kriegerstellung 1
und anderen vergleichbaren Haltungen, bei denen sämtlich darauf geachtet werden muss, daß der Schmerz nicht ausgelöst wird, bieten sich natürlich auch die Haltungen an, in denen wegen kurzer Sarkomerlänge eine Schmerzauslösung unwahrscheinlich ist. Dazu zählen etwa
- purvottanasana in allen Varianten, vor allem denen mit gestreckten Beinen oder mit einem gehobenen Bein, in dem darauf geachtet werden muß, den Schmerz nicht auszulösen
- setu bandha sarvangasana
- eka pada setu bandha sarvangasana unteres Bein. Vorsicht beim gehobenen Bein!
- urdhva dhanurasana
- eka pada urdhva dhanurasana unteres Bein. Vorsicht beim gehobenen Bein!
- salabhasana
Auch korrekt ausgeführte kräftigende Haltungen aus dem Sport wie
- Kniebeugen mit und ohne Gewicht
- Kreuzheben, auch hier wieder: nur bis vor die Schmerzauslösung; zur Vereinfachung können die Kniegelenke ein wenig gebeugt werden
- Hyperextensions, auch nur bis vor die Schmerzauslösung
- Beinbizeps-Curls an der Maschine
Sind die Strukturen einmal deutlich gekräftigt, und ist die Schmerz verursachende Reizung ausgeheilt, kann die verlorengegangene Beweglichkeit umso sicherer wieder aufgearbeitet werden. Eine weitere unterstützende Maßnahme sind Tätigkeiten wie strammes Gehen, vorzugsweise bergauf und Treppensteigen, immer vorausgesetzt, sie lösen den Schmerz nicht aus, bzw. so modifiziert oder paratetrisiert, daß sie ihn nicht auslösen. Natürlich versteifen sie die Beinrückseite, aber sie fördern das Abheilen und kräftigen die Strukturen. Laufen mit schnelleren Passagen dürfte auch einen positiven Einfluss haben. Alle ruckartigen Bewegungen sollten jedoch eher gemieden werden, genauso alle Tätigkeiten, die den Schmerz auslösen, auch intensive Dehnungen!