pathologie: schulterluxation

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Schulterluxation

Definition

Luxation des Glenohumeralgelenks, überwiegend traumatisch, nach Erstluxation aber auch durch inadäquaten Traumen oder schlicht durch Ablegen des Arms endorotiert über Kopf.
Luxationen sind:

  • in 95-97% anterior (Luxatio subcoracoidea): durch nach dorsal ausgestreckten Arm beim Sturz renkt nach vorn aus
  • in 2-4% posterior (Luxatio infraspinata): durch Krampf, Elektrounfall, wird gerne übersehen
  • in 0,5% inferior (Luxatio infraglenoidalis/axillaris): durch Sturz auf den frontalabduzierten Arm

andere Formen sind noch seltener, etwa die Luxation erecta, eine anterioinferiore Luxation, bei der der Arm in weite Frontal- und geringe Lateralabduktion fällt.
Bayley unterteilt in

  1. traumatisch strukturell
  2. atraumatisch strukturell
  3. habituell nicht-strukturell (positional instability: muskuläre Dysbalance)

wobei die Übergänge zwischen den dreien fließend sind.
Gerber unterteilt wie folgt:

  1. verhakte Luxation
  2. unidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxizität
  3. unidirektionale Instabilität mit Hyperlaxizität
  4. multidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxizität
  5. multidirektionale Instabilität mit Hyperlaxizität
  6. willkürliche Luxation

Eine Klassifikation nach Neer und Forster unterscheidet nach Richtung der Luxation, die Klassifikation nach Matsen unterscheidet vor allem nach traumatisch und atraumatisch:

  1. die atraumatische zeigt gewöhnlich mehrdimensionale Instabilität und ist bilateral
  2. die traumatische beruht auf einem adäquaten Trauma, das zu einer unidirektionalen Instabilität führt und eine Bankart-Läsion mit sich zieht

Merksatz: Aus der ersten traumatischen Schulterluxation entwickelt sich die chronisch rezidivierende, aus der ersten atraumatischen die habituelle.

Die Inzidenz der Luxation liegt bei M:W 3:1. Kinder unter 14 Jahren sind mit 0,5% kaum betroffen, die 14-17-Jährigen schon bei 4%. Mit dem Alter nimmt die Indidenz wieder ab. Die Instabilitäten der Schulter sind in 30% multidirektional. In 50% der Hyperlaxizitäten der Schulter liegt eine Instabilität vieler Bänder im Körper vor.

Die Schäden, die bei anterioren Luxationen am vorderen Labrum entstehen, werden klassifiziert in:

jeweils mit Untertypen. Bei der klassischen anterioren Luxation entsteht aber auch an der Knorpelfläche des Humeruskopfe ein Schaden, die Hill-Sachs-Läsion (posterosuperiore Impressionsfraktur durch den anterioren Rand des Glenoids). Je größer die Laxizität des Gelenks bei der Luxation war, desto geringer ist im Allgemeinen die Hill-Sachs-Läsion. Hakt sich der Defekt bei Lateralabduktion mit Exorotation des Arms am anterioren Rand des Glenoids ein, wird das als engaging Hill-Sachs-Läsion bezeichnet. War die Luxation posterior, führt das zu einer reversed-Hill-Sachs-Läsion.

Ursache

Prädisponierend

  1. außer beim traumatisch-strukturellen Typ: kapsuläre Dysfunktion, muskuläre Dysbalancen, Skapuladyskinesie, gestörte Propriozeption, Glenoiddysplasien, hypoplastisches Labrum, Ehlers-Danlos-Syndrom, Marfan-Syndrom
  2. risikobehaftete Sportarten mit hohen Kräften und Beschleunigungen: Klettern, Turnen

Diagnose

  1. palpatorisch dislozierter Humeruskopf
  2. bei anteriorer Luxation: inspektorisch hervorstehendes Akromion und abgeflachte Kontur des Deltoideus
  3. Abklärung des Verletzungsumfangs per MRT
  4. im traumatischen Fall: genaue Traumaanamnese, Häufigkeit und Auslöser der Reluxationen
  5. klinisch: ist die die Subluxation oder Luxation auslösende Position:
    • lateralabduziert-exorotiert, neigt die Schulter zur anterioren Luxation
    • frontalabduziert-endorotiert, neigt die Schulter zur posterioren Luxation
    • ein hängender belateter Arm (Tragen), neigt die Schulter zur inferioren Luxation

Symptome

  1. starke, stechende Schmerzen, atraumatische Reluxationen sind auch kaum schmerzhaft
  2. Schwellung, evtl. Hämatom
  3. veränderte Kontur der Schulter
  4. teils ausgeprägte Kraftminderung/schmerzhaft eingeschränkter Bewegungsumfang und Kraftausübung
  5. schmerzhafte, federnde Fixierung in luxierter Stellung
  6. bei posteriorer: Hinkelsteinhaltung (wie Obelix, als Schonhaltung)
  7. liegt gleichzeitig eine Verletzung der langen Bizepssehne vor: schmerzhafte und durch Schmerz eingeschränkte Beugung des Ellbogengelenks
  8. bei Verletzung von Nerven: Ausfallsymptome wie Parästhesien, Taubheit

Komplikationen

  1. Band- und Knorpelschäden wie z.B. SLAP-Läsion
  2. begleitende Bankart-Läsion: Abriss des inferioren Kapsel-Labrum-Komplexes mit Foge instabiler Schulter und Reluxationsrisiko
  3. selten: Nevenschäden durch Luxation
  4. Reluxationsrisiko unabhängig vom Schädigungsmuster ca. 10%

Therapie

  1. Analgesie (z.B. NSAR), insbesondere zur Reposition auch Anästesie. Die Schmerzen können bis ca. 2-3 Wochen andauern. Verbleiben nach 3 Wochen noch Schmerzen, ist eine erneute Abklärung nötig
  2. im Akutstadium ggf. kühlen
  3. Ausschluß von Nerven- und Gefäßverletzungen sowie Fraktur
  4. Ggf. Orthesen: meist Gilchristverband, auch: Thorax-Abduktionsschiene oder -Abduktionskissen, andere Antiluxations-Orthesen
  5. schnellstmöglich (binnen 30 Minuten) Reposition (verschiedene Methoden, die älteste von Hippokrates), ggf. unter Narkose, Röntgenkontrolle. Übliche Methoden: Arlt, Kocher, Manes, Hippokrates, Milch, Stimsen, White und Milch, Fares (Fast, Reliable, Safe: unter rhtyhmischen Oszillationen in Form eines rhythmischen Händeschüttelns wird das Arm zunehmend abduziert, ab 90° wird die Exorotation verstärkt). Die Reposition muß langsam und schonend erfolgen, da sonst Nerven geschädigt werden können!
  6. Ruhigstellung: je nach Schwere, Alter 1 bis 6 Wochen. Meist wird Schonung vor Beanspruchung für 6 Wochen verordnet, je nach Fall auch 8-12 Wochen. Vor allem bei anteriorer Luxation wird Kraftausübung in Richtung Exorotation für mindestens 7 Wochen gemieden. Typische beinbetonte zylkische Sportarten wie Jogging, Running, Radfahren sollten nach 3 Monaten wieder möglich sein. Überkopfsportarten wie etwa Schwimmen, Tennis, Volleyball dürfen frühestens nach 6 Monaten wieder ausgeübt werden. Für spezifisch risikobehaftete Sportarten wie Kampfsport oder Handball gilt eine mindestens 9-monatige Pause. Vor Wiederaufnahme jeder Art von Training muß Schmerzfreiheit und volle (sportartspezifische) Belastbarkeit gegeben sein. Für die Entscheidung ist erheblich:
    • ob Schulterluxationen vorausgingen
    • Vorschäden an der Schulter
    • wie stark die Schmerzen waren
    • die angewandte Repositionsmethode
    • Vorhandensein und Grad von Funktionseinschränkung post repositionem
    • Vorhandensein und Grad eines Instabilitätsgefühls
    • Vorhandensein und Grad von neurologischen Ausfällen oder Durchblutungsstörungen
    • körperliche Konsitution
    • Sportverhalten
    • Alter des Patienten
    • alltägliche und berufliche Anforderungen
    • betraf es den dominanten Arm ?
  7. bei traumatischer anteriorer oder inferiorer Luxation kann eine OP indiziert sein. Mit zunehmendem Alter und je geringer der Grad sportlicher Aktivität und körperlicher Anforderung, desto eher wird konservativ therapiert.
  8. bei posttraumatischer anteriorer oder inferiorer Luxation oder anteriorer Instabilität kann eine OP indiziert sein. Ebenso wird bei jüngeren Menschen eher operiert wegen bekannt hoher Reluxationsrate. Wie bei der Erstluxation wird mit zunehmendem Alter und je geringer der Grad sportlicher Aktivität und körperlicher Anforderung, desto eher konservativ therapiert.
  9. habituelle Luxationen können, wenn sie selten geschehen und die Funktionseinschränkungen gering sind oder Patient älter ist und körperlich/sportlich weniger aktiv ist, konservativ behandelt werden. Hingegen werden häufigere Luxationen bei sportlich aktiven Menschen meist operiert.
  10. Physiotherapie und stabilisierendes Muskeltraining in Eigeninitiative (!), vor allem der Muskulatur, die der Luxationsrichtung entgegenwirkt. In die Kräftigung muß neben der skapulohumeralen Muskulatur auch die trunkohumerale und die trunkoskapuläre einbezogen werden
    Alles Training muß schmerzfrei sein. Diese Maßnahmen dürfen erst nach der Phase der Ruhigstellung beginnen, in der Verletzungen soweit möglich ausheilen und der Schmerz nachlässt. Passive Mobilisierung durch den PT nach ca. 3 Wochen. Aktive und passive Beweglichkeit werden im Folgenden mit der Bewegungstherapie erhalten oder verbessert und das weitere Abheilen gefördert. Förderung gesunder, luxationspräventiver Körperhaltung sowie Bewußtmachung und Abstellen riskanter Haltungs- und Bewegungsmuster.
  11. bei Begleitverletzungen an Knorpel oder Labrum: minimalinvasive OP
  12. Ggf. Taping
  13. bei typischen Fällen, frühzeitiger Reposition und optimaler Nachversorgung sollte keine Einschränkungen in Alltag und Sport verbleiben

Asana-Praxis

Bei Instabilitäten des Schultergelenks muß in der Regel vor allem die nicht genügend exorotierte Frontalabduktion gemieden werden, aber in der ersten Zeit auch kraftvolle Exorotation . Die Lateralabduktion ist ohnehin ohne weite Exorotation nicht möglich, stellt daher eine geringere Gefahr dar. Das von der San Antonio Univertität in Texas vorgeschlagene Programm zur Stabilisierung (z.B. https://arthro.ch/wp-content/uploads/SanAntonio_Schema.pdf) empfiehlt sechs mit Theraband auszuführende Übungen:

Dazu muß angemerkt werden, daß die Arbeit mit dem Theraband nur einen sehr ungleichmäßigen Momentenverlauf bieten kann. Eine umgelenkte Seilzugmaschine (Exzenter) vermag optimalen Momentenverlauf zu bieten, nicht nur angepasst an die sich ändernde Richtung des ziehenden Arms, sondern auch entsprechend Kraft-Längen-Funktion. Aber auch ohne diesen Aufwand kann die Effektivität gesteigert werden, wenn die Haltung des Körpers gegenüber der Zugrichtung des Therabandes oder die Zugrichtung des Therabandes durch dessen veränderten Ankerpunkt verändert wird, so daß mit mehreren, deutlich unterschiedlichen Richtungen gearbeitet werden kann. Wird mit Hanteln gearbeitet, gilt das gleiche, nur kann die Zugrichtung hier nur durch die Position des Körpers im Raum verändert werden, da die Zugrichtung der Hanteln immer der Schwerkraftrichtung entspricht. Zur Exorotation kann der Unterarm etwa eine horizontale Bewegung bei angelegtem Oberarm oder eine frontale Bewegung bei 90° lateralabduziertem Oberarm machen, also in der Transversalebene oder in der Frontalebene bewegen. Als ein Beispiel sei die wichtige
Exorotation des Oberarms im Schultergelenk aufzugreifen. Möglich sind u.a.:

  1. die im San Antonio-Schema beschriebene stehende Exorotation mit Theraband bei angelegtem Arm zwischen einer exakt frontalen und der 90° dagegen exorotierten (lateralen) Stellung des Unterarms, sitzend oder stehend
  2. .. desgleichen mit veränderter Drehung gegenüber dem Ankerpunkt des Therabandes Exorotation des Oberarms im Liegen bei inferior (z.B. am Fuß) verankerten Theraband
  3. Exorotation des Oberarms im Sitzen oder Stehen mit einem auf Schulterhöhe seitlich ablegten Oberaem und mit Fuß oder seitengleichen Stuhlbein fixierten Theraband
  4. Exorotation des Oberarms mit Kurzhantel im Sitzen oder Stehen mit 90° lateral Ellbogen mit oder ohne aufgelegten Oberarm
  5. Exorotation des Oberarms mit Kurzhantel im Liegen mit 90° lateral abgelegetm Ellbogen, wobei die Hand vom Boden aus bis knapp 90° anhebt. Hier muß sehr auf die Retraktion und Depression des Schulterblatts geachtet werden
  6. Variation der letzten beiden Übungen durch auf einer Schrägbank abgelegten Oberkörper. Bei der inversen Schrägbank (Kopf tiefer als Becken) zeigen sich die möglichen Fehler (mangelhafte Retraktion und Depression der Schulterblätter) noch ausgeprägter, und der nutzbare ROM ist eingeschränkter. Die klassische Schrägbank mit verstellbarer Lehne dürfte für die Arbeit mit der Kurzhantel (oder auch Langhantel, dann aber ist der zur Verfügung stehende ROM durch den Oberkörper begrenzt) das Optimum darstellen.
  7. Exorotation des Oberarms mit Kurzhantel in Seitlage mit auf der Flanke abgestützten Oberarm
  8. Exorotation des Oberarms an einer Seilzugmaschine mit dem Seil über die Umlenkrolle am Boden laufend, vorzugsweise auf einer verstellbaren Schrägbank

Die Endorotation sollte weniger als die Exorotation geübt werden und auch nicht mit frontalabduziertem oder lateralabduziertem Arm, da in beiden Fällen die Luxationsneigung deutlich erhöht ist. Hier ist ein an den Oberkörper angelegter Oberarm geboten. In der ersten Phase nach der für eine Schulterluxation verordneten Ruhigstellung soll auch die Exorotation nur sehr moderat geübt werden, da jeglicher übermäßiger Zug zu einer Reluxation führen kann.

Die Frontalabduktion kann im Stehen mit einem mit dem Fuß oder im Sitzen mit einem mit Fuß oder Stuhlbein verankerten Theraband ausgeführt werden. Ausführungen mit Kurzhantel sind vor allem im
Obergriff, aber nachrangig auch im Untergriff bewährte Klassiker des Krafttrainings. Liegt zusätzlich zu der Schulterinstabilität auch ein
Impingement vor, können die oberen Winkelgrade nicht genutzt werden. Die Haltung darf nur bis vor das Auftreten des Impingement-assoziierten Schmerzes (bei bei rund 70°) ausgeführt werden. Dann kann sich die Ausführung im Liegen anbieten, bei der die maximale Kräftigung entsprechen der Schwerkraftwirkung um die 0° Frontalabduktion einstellt und 70° ohnehin als obere Grenze gilt, da ab dort entsprechend der Winkelfunktion Cosinus die Wirkung der Ausführung zu sehr nachlässt.

Ähnlich wie die Frontalabduktion kann auch die Lateralabduktion mit verschiedenen Techniken ausgeführt werden. Hier stehen wieder Seilzug, Maschine, Kurzhantel und Theraband zur Verfügung. Klassisch ist die Ausführung im (Obergriff, jedoch kann durchaus auch zuweilen im Untergriff geübt werden. Gerade in einer Kombination aus frontaler Abduktion und lateraler Abduktion wird auch der Bizeps brachii angesprochen, dessen lateraler Kopf mit seiner durch den Sulcus verlaufenden Sehne zur Stabilität des Schultergelenks beiträgt. Bei einer dislozierten langen Bizepssehne ist dies natürlich kontraindiziert.

Die Retroversion wird meist aus einer wenig frontalabduzierten Position ausgeführt. Je weiter die Frontalabduktion zu Beginn ist, desto mehr wird die Grifftechnik (Obergriff oder Untergriff) relevant, da sie zu deutlich unterschiedlicher Rotation des Oberarms im Schultergelenk und damit zu unterschiedlichem Ansprechen der Adduktoren des Schultergelenks führt. Grundsätzlich können Retroversionen auch mit
lateralabduziertem Arm ausgeführt werden. Wird der Arm dabei in halbwegs konstanter Lateralabduktion gehalten, dient dies auch der Kräftigung der Lateralabduktoren wie des Supraspinatus und des
Deltoideus.

Im San Antonio-Schema kommt eine Adduktion des Oberarms gar nicht vor, obwohl die Adduktoren des Oberarms wie Teres major, Teres minor,
Latissimus dorsi zusätzliche Stabilität geben können. Vor allem der Teres minor als exorotierender Muskel ist hier interessant.

Keine besondere Erwähnung im San Antonie-Schema findet der
Bizeps. Zwar wird er bei der Frontalabduktion mitgekräftigt, jedoch stehen ihm bei der Ausführung mit Coracobrachialis und Deltoideus pars clavicularis zwei weitere Muskeln zur Seite. Einfache Bizepscurls (Ellbogengelenkflexion gegen Schwerkraftwirkung einer Hantel, Seilzug oder Theraband) kräftigen den Bizeps mindestens genauso gut und tragen mit dem Zug seiner langen Ursprungssehne zur Zentrierung des
Humeruskopfes bei. Die Scott-Curls (Oberarme auf einer schrägen Ebene abgelegt) sind hier weniger geeignet als die mit senkrechtem Oberarm beginnenden, da erstere aus der Startposition vor allem den
Brachialis kräftigen und die Insertion des Bizeps am Radius sehr fordern.

Weitere empfehlenswerte Übungen mit Theraband: Plank, SidePlank, Nackendrücken, stehende Überzüge mit Lateralabduktionsspannung, Rudern, Lateralabduktion hinter dem Rücken, Retroversion unter Lateralabduktionsspannung, Liegestütze (ggf. an schräger Ebene), Bankdrücken/ Kurzhantelbankdrücken, Lateraladduktion und
Frontaladduktion gegen Theraband.