yogabuch / funktionale übungen / programm bei zerrung
Die Wadenzerrung (CMSI, Calf Muscle Strain Injury) ist eine funktionelle Störung des Soleus oder Gastrocnemius ohne in der Bildgebung nachweisbares makroskopisches äquivalent. Sie beruht auf einer Störung der muskelspindel, die zu einer neuromuskulären Fehlregulation führt und einen extremen schmerzhaften Hypertonus umschriebener Muskelareale hervorruft. Spätestens nach Abklingen des entstandenen Ödems ist es angezeigt, die Fehlregulation durch rehabilitatives Training zu durchbrechen und den Muskel wieder an eine physiologische Arbeitsweise zu gewöhnen. Eine akute Zerrung mag sich etwa beim Laufen binnen weniger Schritte in ihrer Schmerzhaftigkeit aufbauen oder auch binnen eines Schrittes schlagartig auftreten, was gefühlt von einem Riss kaum unterschieden werden kann, wenn man nicht beides bereits erlebt hat. Nach Eintritt der Zerrung ist der Muskel druckschmerzhaft, es bildet sich ein Ödem, es gibt eine moderate bis ausgeprägte Dehnungsschmerzhaftigkeit und eine Belastungsschmerzhaftigkeit die bis zu NRS 10 betragen kann. Eine Fortführung der Belastung kann dann weiter zu einem Riss führen und muß unbedingt vermieden werden.
Nicht selten ist die Belastungsschmerzhaftigkeit ungleich ausgeprägter als die Dehnungsschmerzhaftigkeit, vor allen Dingen bei flexiblen Menschen. Das rehabilitative Training besteht sowohl aus Dehnungen der Wadenmuskulatur, die, wenn unbekannt ist ob es den Soleus oder Gastrocnemius betrifft, sowohl mit gebeugtem als auch mit gestrecktem Kniegelenk durchgeführt werden müssen. Ist bekannt dass der Gastrocnemius betroffen ist, werden die Dehnungen mit gestrecktem Kniegelenk ausgeführt, bei Betreff des Soleus mit mindestens 20 Grad gebeugten Kniegelenk. Die Dehnungen sollten länger angehalten werden, über mindestens eine halbe bis eine Minute und wiederholt, auch über den Tag verteilt ausgeführt werden. Als Dehnungen des Soleus bietet sich etwa die Soleusdehnung am Klotz an oder die malasana. Für den Gastrocnemius bietet sich eine einbeinige oder zweibeinige Hundestellung Kopf nach unten an, eine 1. Kriegerstellung oder eine parivrtta trikonassana. In Analogie zur Soleusdehnung am Klotz gibt es auch eine Gastrocnemius-Dehnung am Klotz mit gestrecktem Kniegelenk. Statt eines Klotzes kann für die Dehnung des Gastrocnemius oder Soleus auch ein genügend hoher Bordstein verwendet werden. Häufig ist festzustellen, dass wenn der Mensch die Dehnung aus eben derselben Muskulatur durch eine konzentrische Kontraktion der Muskulatur aus weitester Sarkomerlänge heraus wieder verlassen will, die volle und ungleich höhere Belastungsschmerzhaftigkeit von bis zu NRS 10 ausgelöst wird, während die Schmerzhaftigkeit in der Dehnung vielleicht nur bei NRS drei oder vier lag. Die volle Schmerzauslösung sollte den Muskel in diesem Stadium erspart werden, indem die Haltung auf andere Weise verlassen wird. Zu diesem Zeitpunkt kurz nach Auftreten der Zerrung, ist häufig eine Belastung des Vorfußes mit Körpergewicht ebenfalls mit einer Schmerzauslösung bis zu NRS 10 verbunden. Testet ein Therapeut Dorsalflexion und Plantarflexion nur mit sehr moderater Kraft, kann die Schmerzauslösung derart gering sein, dass er die beiden Tests für ohne Befund hält. Nachdem für ein oder zwei Tage überwiegend Dehnungen ausgeführt worden sind, sollte sukzessive eine Teilbelastung eingeschlichen werden. Das kann z. B. dadurch geschehen, dass der Gang, welcher zu Anfang völlig von Schmerzvermeidung geprägt war und dementsprechend zu Störungen der mehr belasteten Seite neigt, auf der betroffenen Seite wieder abhängig von der Schmerzempfindung eine Teilbelastung integriert. Eine sehr gute belastete exzentrische Kontraktion stellt das treppab gehen da, das ohne Abrollbewegung über die Fußballen geschehen soll, da dieses die Dorsalflexion und damit die Dehnung vermindern würde. Der Fuß kann also auf der Ferse aufgesetzt werden, es wird aber schließlich die ganze Fußsohle und nicht der Ballenbereich von der Stufe abgehoben. Steht keine Treppe zur Verfügung, so leistet das bergab Gehen in steilem Gelände noch halbwegs vergleichbares, allerdings ist die Dehnung entsprechend geringer, weil nicht die gleiche Dorsalflexion erreicht wird. As wide range Bewegung, die den Trizeps surae wieder an Last, hohen Stoffwechsel und adäquate Innervation gewöhnt, eignet sich ein kleinschrittiger Gang, dessen Vortrieb vor allem aus der Plantarflexion bezogen wird. Es wird also die Ferse aufgesetzt für eine Abrollbewegung des Fußes, die aber langsam bis in weiteste Plantarflexion ausgeführt wird.
Sehr gut in Winkel und Last zu dosieren sind auch Kniebeugen. Diese sind besonders für den Soleus wertvoll. Mit der Bewegung der Knie nach vorn kann beliebige Dorsalflexion erreicht werden und über die genaue Gewichtsverteilung auf dem Fuß zwischen Ferse und Ballenbereich kann die Last auf diesem Muskel sehr gut dosiert werden.
Hilfreich ist auch Radfahren, bei dem der Vortrieb versucht wird, hauptsächlich aus dem Trizeps surae, also mit einer kraftvollen wide range Bewegung im OSG zu erzielen. Insbesondere Berg hoch kann so ein intensives Training gefahren werden.
Das beschriebene Kräftigungstraining kann ein oder zweimal am Tag durchgeführt werden. Ist mit diesem Verfahren eine völlige schmerzfreiheit des Trizeps surae erreicht worden, und der Tonus der betroffenen Muskulatur auf ein normales Maß reduziert worden, sollten mindestens zwei den Gastrocnemius nicht nennenswert belastende Tage Vorgehen, bevor das erste zarte und kurze Lauftraining ausprobiert wird. Keinesfalls sollten vor dem Lauftraining intensive Anstrengungen das Gastrocnemius werden, unbedingt aber sollte der Unterschenkel hinreichend aufgewärmt werden ohne ihn intensiv zu dehnen. In den nächsten Tagen kann versucht werden, das Lauftraining vorsichtig zu steigern, wobei der Betroffene sehr achtsam auf die Signale seiner Wadenmuskulatur hören und beim ersten Anzeichen merklicher Tonuserhöhung das Training sofort abbrechen muss, schließlich ist bei einer Wadenzerrung, insbesondere bei nicht korrekt ausgeheilter Verletzung, die Rezidivwahrscheinlichkeit relativ hoch. Der Trainingsverlust durch ein Rezidiv liegt immer um ein Vielfaches höher als durch ein paar weitere Tage Schonung oder moderates angepasstes Training.
Vor allem in der ersten Zeit sollte Sorge dafür getragen, das weder ein Flüssigkeitsmangel noch ein Mangel an Elektrolyten den Muskelstoffwechsel und die Innervation beeinträchtigen kann, also über den Tag verteilt vor einer Sporteinheit genügend Flüssigkeit zugeführt werden und mit einem hinreichenden Vorlauf auch Elektrolyte. Zu bedenken ist auch, dass im Abklingen befindliche Infekte ebenfalls zu Muskelverletzungen disponieren. Siehe auch die bei der Zerrung beschriebenen prädisponierenden Faktoren. Zur Prävention der Zerrung und zur Rezidivprophylaxe gehört auch, nicht über längere Zeit in Spitzfusshaltung zu sitzen oder zu schlafen.
Zu beachten ist auch, das muskuläre Dysbalancen oder Einschränkungen die Gefahr von Zerrungen ebenfalls erhöhen, insbesondere, wenn sie den dorsalen Teil der kinetischen Kette der unteren Extremität betreffen, also außerhalb des Trizeps surae die Ischiocrurale Gruppe oder in den Fuß und seine Plantarfaszie.