pathologie: hypermobilitätssyndrom

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Hypermobilitätssyndrom

Definition

Auch als familiäres Hypermobilitätssyndrom, familiar articular hypermobility syndrome, hypermobility syndrom, hypermobile joint syndrome oder benign hypermobile joint syndrom bekannte uneinheitliche Gruppe angeborener Störungen im Bereich der Bindegewebe, die eine allgemeine Überbeweglichkeit in den Gelenken ausprägen, oft begleitet von muskulären Beschwerden. Zur Diagnoststellung ist der Ausschluß aller differentialdiagnostisch relevanten Erkrankungen notwendig wie RA, Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom, osteogenesis imperfecta, Fibromyalgie, wachstumsbedingte Schmerzen. Kirk beschrieb diese Störung ansonsten völlig gesunder Personen in 1967, davor existieren nur einzelne Fallbeschreibungen. Hypermobilität eines Gelenks wird als aktiv bezeichnet, wenn es überziehende Muskulatur die abnorme Gelenkstellung selbst verursachen kann sonst, also wenn nur mit Einsatz externer Kraft die abnorme Stellung erreicht werden kann, spricht man von passiver Hypermobilität. Die Diagnose kann erst etwa nach der Pubertät gestellt werden, weil bei Kinder eine altersbedingte Überbeweglichkeit zu eigen ist. Die Inzidenz liegt in Europa bei 3%, W:M bei 3-5:1. Zur Klassifizierung wird i.A. der Beighton Score benutzt, der je einen Punkt vergibt für:

  1. Die Fähigkeit, die Handeflächen bei gestreckten Knien auf dem Boden aufzusetzen
  2. jedes um mindestens 10° überstreckbare Ellbogengelenk
  3. jeden den Unterarm berühren könnenden Daumen
  4. jeden im Grundgelenk um mindestens 90° überstreckbaren kleinen Finger
  5. jedes um mindestens 10° überstreckbare Kniegelenk

Der Score klassifiziert mit der gebildeten Summe in

  1. 0-2: nicht hypermobil
  2. 3-4: moderat hypermobil
  3. ab 5: generalisiert hypermobil

Damit wird zumindest das erste Kriterium abgefangen, das bei gut auf Beweglichkeit trainierten Menschen aus rein muskulären Gründen und ohne Besonderheiten eines Gelenks ohnehin gegeben ist. Eine generalisierte Hypermobilität ist nicht an sich pathogen, stellt jedoch eine deutlich Disposition dar zu schmerzhaften synovialen, kapsulären, periartikulär enthesiopathischen (Schmerzhaftigkeit eines sehnigen Knochenansatzes) und muskulären Reaktionen infolge funktioneller und morphologischer Überbeanspruchung durch Instabilität, Dislokationen und traumatischer Vulnerabilität. Der erreichte Score läßt keine Rückschlüsse zu auf die Symptomatik oder Prognose auf die Entwicklung, genauso wenig umgekehrt. Wird der Beighton Score in die Beighton-Kriterien eingebettet, erreichen diese eine Sensitivität und Spezifität von je 93%: Hauptkriterien:

  1. Beighton Score von mind. 4 aktuell oder früher
  2. Arthralgien in mind. 4 Gelenken über mind. 3 Monate

Nebenkriterien:

  1. Beighton von 1-3, ab 50. Lj. auch 0
  2. Arthralgien über mind. 3 Monate in 1-3 Gelenken, Rückenschmerzen, Spondylolisthesis oder Spondylarthrose
  3. Luxationen oder Subluxationen in mehr als einem Gelenk oder mehrmals in einem Gelenk bei verschiedenen Anlässen
  4. „Weichteilrheuma“ wie Tennisellbogen oder Golferellbogen, Tendovaginitiden oder Bursitiden an mehr als 3 Stellen
  5. Marfanoider Habitus, also groß, schlank, Verhältnis Armspanne zu Körpergröße von mind. 1.03, Verhältnis Beine zu Rumpf von mind. 0.89, Spinnenfinger
  6. Anomale Haut mit Dehnungsstreifen, dünner, abziehbarer Haut oder Zigarettenpapiernarben
  7. Auffälligkeiten der Augen wie hängende Lider, antimongoloide Augenachse
  8. Krampfadern, Hernien, Gebärmutter- oder Mastdarmvorfall

Die Diagnose Hypermobilitätssyndrom wird gestellt bei Vorliegen von

  1. beiden Hauptkriterien
  2. 1 Hauptkriterium und 2 Nebenkriterien
  3. 4 Nebenkriterien
  4. 2 Nebenkriterien und positiver Familienhistorie im ersten Grad

Das Hypermobilitätssyndrom ist auch bei Ärzten als Bindegewebserkrankungen noch wenig bekannt, daher unterbleibt oft korrekte Diagnosestellung und Versorgung.

ICD M35.7

Ursache

  1. angeboren

Symptome

  1. meistens völlig symptomfrei, es fallen aber verschiedene Überbeweglichkeiten auf, die durch abnorme Bindegewebsstrukturen verursacht sind

Komplikationen

  1. Schwierigkeiten beim Laufenlernen
  2. normale Lebenserwartung bis auf Fälle von Gefäßbeteiligung
  3. reduzierte Lebensqualität durch auftretende Schmerzen und Funktionseinschränkungen
  4. Schlaganfälle durch Blutgefäßveränderungen
  5. Schmerzen durch Verstauchungen und Ausrenkungen auch ohne Trauma oder äußere Einwirkung, auch bei befundloser Radiologie
  6. verordnete Schmerztherapie ist der Selbstmedikation mit NSAR vorzuziehen wegen der Gefahr deren Langzeit-NW
  7. Nervenkompression durch verspannte Muskeln oder Spondylolisthesis, Auslösung auch ohne Trauma

Therapie

  1. keine kausale Therapie bekannt
  2. Behandlung von orthopädischen Problemen, vorzugsweise konservativ
  3. Physiotherapie
  4. Haltungstraining. Überstrecken vermeiden. Vorsicht bei Kraftsport, KEIN Kontaktsport!
  5. ggf. Orthese
  6. Verhaltenstraining
  7. Vermeidung endgradiger Gelenkstellungen
  8. Vorsicht mit Dehnübungen!
  9. Tai Chi, Yoga, Kräftigende Bewegungstherapien ohne Luxationsgefahr und endgradige Bewegungen

NHK

  1. Tai Chi
  2. Kräftigende Bewegungstherapien ohne Luxationsgefahr und endgradige Bewegungen