pathologie: patellaluxation (atraumatisch)

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Definition

Die Patellaluxation ist die Verschiebung der Kniescheibe aus ihrem femoropatellaren Gleitlager heraus. Dies kann traumatisch geschehen, was in dem Artikel traumatische Patellaluxation beschrieben ist, aber auch atraumatisch, was in diesem Artikel beschrieben wird. Dafür kommen mehrere Ursachen in Frage. Die Patella ist auf ihrer Rückseite mit einer Finne zur Führung in der Trochlea femoris zwischen den beiden Condylen des Femur ausgestattet. Einerseits kann diese Finne zu gering ausgeprägt sein, andererseits kann die Trochlea zu flach sein. Eine weiterer begünstigender Faktor ist ein Patellahochstand (Patella alta), also eine zu weit kranial stehende Patella infolge eines zu langen Lig. patellae, da die Trochlea dort flacher wird. Als Kofaktor kommen weitere Sachverhalte in Frage. Am gesamten kranialen Patellapol setzt der Quadrizeps an, der seine Kontraktionskraft über die Patella auf die Tibia überträgt, von lateral nach medial: Vastus medialis und Rectus femoris, dann Vastus intermedius und schließlich medial Vastus medialis. In nicht wenigen Fällen ist der Zug der lateralen Quadrizepsanteile zu hoch, was die Patella nach lateral zieht. Ein weiterer begünstigender Faktor ist ein im Kniegelenk exorotierter Unterschenkel, da dabei der Ansatz des Lig. patellae nach lateral verschoben ist.

Ein weiterer eine Patellaluxation begünstigende Faktor ist eine Störung des als MPFL (Medial PatelloFemural Ligament) bezeichneten medialen Bereichs des Retinaculum patellae. Das MPFL besteht hauptsächlich aus Faserzügen des Vastus medialis, die medial an der Kniescheibe vorbei in Richtung Tuberostias tibiae ziehen. Dabei ist der eher longitudinal ausgerichtete Teil Retinaculum patellae mediale immer vorhanden, ein transversal verlaufender medialer Anteil, das Retinaculum patellae transversale mediale, aber nur in 30%. Da die Patellaluxation dazu neigt, das MPFL zu beschädigen oder abzureißen, steigt die Rezidivneigung dadurch deutlich an. Ein Abriß erfolgt dabei meist direkt an der medialen Patellakante, nur selten am medialen Epicondylus. Auch X-Beine begünstigen die Patellaluxation, da die Tuberositas patellae nach lateral verschoben ist. Nachrangig kann auch eine Schwäche der exorotatorischen Muskulatur des Hüftgelenks kinetische Situationen schaffen, in denen die Patella nach lateral luxiert.

Das Erstauftreten einer Patellaluxation ist recht schmerzhaft und führt häufig zu einer Blockade des Kniegelenk. Die auslösende Situation ist meist mit einem geringen Tonus des Quadrizeps und einem geringen Beugewinkel des Kniegelenk verbunden, da dabei die nichtinnervierte Eigenspannung des Muskels geringer ist als bei weiter Beugung. Eine manuelle Reposition ist nicht selten erforderlich. Die Inzidenz liegt in Deutschland bei 5,8 / 100.000 / a, womit die Patellaluxation eine häufige Knieverletzung ist. Patellaluxationen neigen zu Rezidiven mit zunehmender Häufigkeit, jede aufgetretene Luxation ist also ein begünstigender Faktor für die nächste. Das Risiko für eine Erstreluxation liegt bei 15 – 45%. Bei einer längeren Abfolge von Luxationen spricht man von einer chronischen patellofemoralen Instabilität. Bei jungen Menschen liegt das Rezidivrisiko bei bis zu 60%, wie überhaupt Patellaluxationen bei jüngeren menschen deutlich häufiger vorkommen. Da bekannt ist, daß jede Luxation den Knorpel schädigt, sollte entsprechend interveniert werden, falls nötig auch nicht-konservativ, trotz der häufig mit jeder Luxation leicht abnehmenden Schmerzsymptomatik. Luxationen sind vor allem zu Beginn mit einem deutlichen Geräusch verbunden und der Anblick der luxierten Patella sowie die gefühlte Gelenkblockade lösen nicht selten Angst aus.

Wer von einer Neigung zur Patellaluxation betroffen ist, sollte gewisse Situationen meiden, zu denen auch Sportarten mit weiter Exorotation des Unterschenkels im Kniegelenk gehört, wie etwa beim Brustschwimmen. Genauso muß der Sitz mit nach außen gedrehten Füßen vermieden werden, da die dazu notwendige Drehung der Füße gegenüber dem Becken um 90° kaum jemals aus dem Hüftgelenk kommen kann, sondern eine deutliche Exorotation der Unterschenkel im Kniegelenk erforderlich ist.

Ein Kräftigungstraining mit Betonung des Vastus medialis und Reduktion eines Hypertonus des Rectus femoris ist bei Neigung zu Patellaluxation obligat. Eien adäquate konservative Versorgung führt in 50% zu Rezidivfreiheit.

Ursache

  1. Endorotation des Oberschenkels bei Fuß als Punctum fixum
  2. insbesondere schwungvolle oder unbedachte Exorotation des Unterschenkels als punctum mobile im Kniegelenk
  3. selten kongenital
  4. selten neurogen (vor allem abnormer Zug des Vastus lateralis)

Prädisponierend

  1. Patella alta
  2. zu flache Trochlea femoris
  3. zu gering ausgeprägte retropatellare Finne
  4. Coxa antetorta (Antetorsion des Femur)
  5. X-Beine
  6. ausgeprägte Hyperextensionsfähigkeit (Überstreckfähigkeit) des Kniegelenk
  7. unplanmäßige oder ungünstige Bewegungen bei Mannschaftssportarten, vor allem, aber nicht nur in der Halle, beim Tanzen, beim Turnen (wird auch als akut dispositionelle nicht-traumatische Form angesehen)
  8. geringer Tonus des Quadriceps femoris, vor allem des Vastus medialis
  9. muskuläre Dysbalancen mit Hypertonus des Rectus femoris bei zu geringem Tonus des Vastus medialis
  10. allgemein schwache Bindegewebe und lose Bänder, insbesondere bei Hypermobilitätssyndrom und dieses begünstigenden Grunderkrankungen wie Ehlers-Danlos und Marfan-Syndrom; auch bei Osteogenesis imperfecta
  11. weibliches Geschlecht, jüngeres Lebensalter mit schlanker Statur und eher atonische Muskulatur
  12. anomal weit lateraler Ansatz des Quadrizeps an der Tibia

Diagnose

  • Röntgen zum Ansschluß von Knochenabsplitterungen, ggf. MRT zur Begutachtung von Knorpeln und Bändern
  • klinische Untersuchung zur Abklärung der begünstigenden Faktoren

Symptome

  • Hämarthros bei Zerreißung des MPFL
  • Blockade des Gelenks
  • deutlicher Kapselspannungsschmerz
  • sichtbare und palpable, apositionelle Luxationsstellung

Komplikationen

  • Riß der medialen Gelenkkapsel
  • (weitere) Schädigung des MPFL
  • Rezidiv und Erhöhung der Rezidivneigung mit jeder Luxation
  • Knorpelschäden
  • erhöhte Arthroseneigung nach häufigeren Rezidiven

Therapie

  • Jede Erstluxation ist abklärungspflichtig
  • bei luxierter Patella absoluter Bewegungsstop für das betroffene Kniegelenk und rasche fachliche manuelle Reposition bei Streckung des Kniegelenk
  • PT
  • nach Luxation: Orthese, Belastungsreduktion, Sportpause, Bein hochlegen, kühlen
  • bei intakt gebliebenen Knorpeln und intakter Kapsel: Sportpause bis zu 3 – 4 Monat, danach langsamer Belastungsaufbau mit achsengerechten Bewegungen
  • Bewegungstherapie: Kräftigung des Vastus medialis, Dehnung des Rectus femoris und Vastus lateralis
  • Operativ kann eine Plastik eines Retinaculum patellae transversale mediale aus der Ansatzsehne des Gracilis, seltener des Semitendinosus, hergestellt werden in Form eines länglichen Dreiecks vom Schoettle-Punkt unterhalb des Tuberculum addductorium zu zwei weit auseinander liegenden Punkten der medialen Patella. Die OP muß offen erfolgen, damit die Patella nicht unter Spannung steht.
  • Ggf. lateral release, also limitierte Durchtrennung des lateralen Retinaculum patellae, wobei diese Intervention zwei Nachteile hat: die Stabilität der Patella läßt weiter nach und die arterielle Versorgung verschlechtert sich deutlich, da sie überwiegend über das laterale Retinaculum geschieht.
  • Tuberositas-Osteotomie bei Patella alta (Patellahochstand), also einem zu langen Lig. patellae (dann Versatz nach inferior) und bei zu weit lateral liegendem Ansatz der Lig. patellae (OP nach Roux oder Elmslie zur Verlegung nach medial).
  • Bei einer zu flachen Trochlea kann eine Trochleaplastik vorgenommen werden, indem eine Knochenschuppe mit dem Knorpel abgelöst und der profundere Bereich entsprechend medial vertieft wird. Dies stellt einen weniger elementaren Eingriff dar, dessen Erfolg nicht sicher ist.
  • Post-OP frühzeitige Mobilisierung zur Vermeidung von Verklebungen