pathologie: kompartment-syndrom

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Kompartment-Syndrom

Definition

Zustand, in welchem bei geschlossenem Haut- und Weichteilmantel ein erhöhter Gewebedruck zur Verminderung der Gewebedurchblutung führt, woraus durch Einschränkungen oder Aufhebung der nutritiven Mikrozirkulation neuromuskuläre Störungen oder Gewebe- und Organschädigungen resultieren. Betroffen sind meist Unterschenkel, Unterarm, Fuß. Es gibt folgende Muskelkompartments:

  1. Flexorenloge des Oberschenkels (Compartimentum femoris posterius)
  2. Extensorenloge des Oberschenkels (Compartimentum femoris anterius)
  3. Adduktorenloge des Oberschenkels (Compartimentum femoris mediale)
  4. Flexorenloge des Unterschenkels (Compartimentum cruris posterius)
  5. Extensorenloge des Unterschenkels (Compartimentum cruris anterius)
  6. Fibularisloge (Compartimentum cruris laterale)

Unterscheide zwei Arten von Kompartments:

  1. funktionell/chronisch (belastungsassoziiert, auch: exertional compartment syndrome)
  2. akut (traumatisch, evtl. mit Frakturen) oder post-OP

Das funktionelle Kompartment ist im Training unter gleichen Bedingungen reproduzierbar und beginnt meist mit Erschöpfung der betroffenen Muskulatur, später Druckgefühl- oder Krampfneigung, danach Kontrollverlust und noch später einschleichende Taubheit.

Am häufigsten tritt das vordere Kompartmentsyndrom auf, welches die Loge der Dorsalflexoren (Extensoren) Tibialis anterior, Extensor digitorum longus, Extensor hallucis longus und Fibularis tertius betrifft. Ein verkürzter oder hypertoner Trizeps surae disponiert, genau wie eine verminderte Dorsalflexionsfähigkeit. Der Schmerz tritt auf an der
vorderen lateralen Tibia-Kante auf.

Weit seltener findet sich ein tiefes hinteres Kompartment in der Loge aus Flexor digitorum longus, Flexor halluxis longus und Tibialis posterior. Hier tritt der Schmerz an der medialen Tibia-Kante auf oder als tiefer Wadenschmerz. Besitzt der Tibialis posterior eine eigene Hülle,
kann hartnäckiger chronischer Schmerz auftreten. Treten Parästhesien oder Schwäche der Muskulatur auf, kann das auf ein durch den Druck entstandenes Nervenengpassyndrom hinweisen.

ICD T79.6

Ursache

  1. Traumata wie Brüche, Muskelquetschungen: Druckerhöhung durch Blutergüsse oder Ödeme infolge Gewalteinwirkung komprimieren Nerven oder Gefäße mit der Folge verminderter Durchblutung, venöse Stauung zu weiterer Druckerhöhung, was zu Nekrosen führen kann
  2. Aortenruptur
  3. Funktionelles Kompartment: Ausdauerleistungen von Mittelstrecke bis Triathlon
  4. Brandverletzung
  5. Ischämie
  6. OP

Prädisponierend

Für ein funktionelles Kompartment können folgende Faktoren als disponierend angegeben werden:

  1. weiblich
  2. Overstriding: Aufsetzen des Fußes vor dem Körperschwerpunkt: Schrittlänge groß, Schrittfreuenz niedrig, größere Dorsalflexion und ausgeprägtere exzentrische Kontraktion der Fußheber macht vorderes Kompartment
  3. Fersenlaufstil: großer Dorsalextensionswinkel beim Fußaufsatz
  4. Falsches Schuhwerk (große Sprengung, also „Absatz“)
  5. größere Steigerung der Trainingsintensität
  6. Laufstrecke bergauf (vorderes Kompartment)

Diagnose

  1. Palpation
  2. Drucksonde: schon in Ruhe um 15 mmHg erhöhter Druck, bei 1 Minute Belastung um über 30mmHg, 5 min nach Belastungsende immer noch über 20 mmHg
  3. Stryker-Messgerät zur intrakorporalen Druckmessung mit extrakorporaler Sonde

Symptome

  1. Schmerzhafte, verhärtete Muskulatur (Ruheschmerz + Bewegungsschmerzhaftigkeit + Druckschmerzhaftigkeit + Dehnungsschmerzhaftigkeit)
  2. analgetikaresistenter Schmerz, lässt sich auch durch passive Bewegung auslösen
  3. Spontaner Muskelschmerz als Ischämiezeichen
  4. Kribbeln, Paresthesien
  5. Sensibilitätsstörungen
  6. Hochlagerung bessert nicht
  7. später Pulsverlust/-Abschwächung distal der betroffenen Stelle
  8. später motorische Ausfälle, Paresen

Komplikationen

  1. hypoxische Muskelnekrose mit anschließender Fibrosierung
  2. Lähmungen
  3. Verlust der Gliedmaße
  4. am Unterarm: Volkmann-Steife
  5. bei großflächigem Muskelzerfall (Rhabdomyolyse): Zirkulationsstörungen, evtl. Nierenversagen
  6. im Extremfall: MSOF (multiple system organ failure) und Exitus

Therapie

  1. bei geringerem Druck: flach, kühl lagern, regelmäßige Beobachtung, Analgetika
  2. bei akutem, nicht-funktionalem Kompartment: Dermatofasziotomie (Schnitt in die Faszien zur Druckentlastung) ab 30 mmHg
  3. funktionales Kompartment: PECH solange nötig, danach leichtes aerobes Training. In schweren Fällen Fasziotomie

DD

  1. Muskelhämatom
  2. Muskelzerrung
  3. Muskelfaserriss
  4. Muskelkrampf
  5. tiefe Beinvenenthrombose (Phlebothrombose): distale Schwellung mit Druckschmerzhaftigkeit
  6. Infekt
  7. Shin splint: zeigt nach kurzer Belastungspause im gleichen Training sofort wieder Schmerz
  8. Stressfraktur
  9. Patellakompressionssyndrom
  10. Tendinitis: schmerzt v.a. über der Sehne selbst, weniger der Muskulatur
  11. Nervenwurzelkompressionssyndrom
  12. Gefäßkompression, z.B. popliteal durch ausgeprägte Baker-Zyste