pathologie: muskelkrampf

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Muskelkrampf

Definition

ungewollte starke, nicht belastungsadäquate, schmerzhafte Muskelanspannung. Erfahrungsgemäß gehen nicht neurologisch bedingte Ruhekrämpfe der Muskulatur häufig auf Calciummangel zurück, belastungsbedingte Krämpfe meist auf Magnesiummangel oder Natriummangel. Jedoch muß dies deutlich differenzierter betrachtet werden.
Über 90% der Sportler sind zuweilen von Krämpfen betroffen, die Frequenz nimmt mit dem Alter zu. Eine Quelle gibt die Waden mit 80% als die häufigste Lokalisation an.

Bei sportbedingten Krämpfen spricht man von EAMC: Exercise-associated muscle cramp (EAMC). Auch ein Drittel bis die Hälfte der nicht sporttreibenden Erwachsenen über 65 Jahre ist mindestens einmal wöchentlich von einem Krampf betroffen, Frauen häufiger als Männer. Im Sommer ist die Krampfneigung wegen des höheren Elektrolytverlustes höher. Krämpfe sind meist selbstlimitierend und dauern wenige Minuten an. Halten sie länger an, ist die Muskulatur auch nach Ende des Krampfes belastungs-, dehnungs- und druckschmerzhaft. Schwerere länger anhaltende Krämpfe können den Schlaf und damit die Leistungsfähigkeit tagsüber beeinträchtigen.

Krämpfe entstehen durch neurogene Übererregbarkeit und basieren auf hochfrequenten Entladungsserien von 50 – 150 Hz. Spinal bedingter Entfall inhibitorischer Innervation (Vorderhornzellen) kann dies begünstigen. Dehydratation mit Elektrolytverlust führt mit größerer Häufigkeit zu neurogener Übererregbarkeit und Krämpfen. Dies ist seit der Industrialisierung bekannt, bei der Arbeiter große körperliche Arbeit in teils überhitzten Umgebungen leisten mußten und nur klares Wasser gegen den Schweißverlust (und damit Elektrolytverlust) bekamen. Dill et al. zeigte in einer groß angelegten Studie, daß bereits die Substitution von Salz (NaCl) die Krampfneigung signifikant vermindert. In einer Studie wurde ein Wasser (-und Elektrolytverlust) in Höhe von 3% der Körpermasse durch eine Abfolge von Saunagängen induziert, was einige kleinere Muskeln, etwa Zehenbeuger, EAMC-anfällig machte, aber nicht alle Muskeln, etwa den Quadrizeps nicht. In einer anderen Studie, die versuchte, durch ein wadenlastiges Übungsprogramm Krämpfe in der Wade hervorzurufen, hielten die mit einer Kohlenhydrat-Elektrolyt-Lösung zum Ausgleich des Flüssigkeitsverlusts versorgten Probanden mehr als doppelt solange durch, bevor Krämpfe auftraten. Auch zeigte sich, daß die Krampfneigung mit dem Flüssigkeitsverlust (Wasser und Elektrolyte durch den Schweiß) zunahm. Eine weitere Studie, die Wasser- und Elektrolytverlust durch Saunagänge um 1%, 2% und 3% der Körpermasse provozierte, zeigte eine klare Zunahme der Krampfneigung mit der Menge verlorenen Schweißes. In einer anderen Studie liefen Probanden bei heißem Wetter bergab bis sie 2% ihrer Körpermasse ausgeschwitzt hatte. Eine Hälfte der Gruppe bekam 10 Minuten nach dem Lauf Wasser, die andere eine handelsübliche Elektrolytlösung. Gruppe 1 zeigte eine deutlich erhöhte Anfälligkeit für elektrisch induzierte Wadenkrämpfe gegenüber Gruppe 2 sowohl 50 als auch 80 Minuten nach der Flüssigkeitsaufnahme.

Unter klinischen Bedingungen gilt Hyponatriämie (unter 135 mmol/l) als krampffördernd, zu EAMC gibt es aber kaum Datenlage. In kalten Umgebungen treten Krämpfe bereits ganz ohne oder ohne größeren Elektrolytverlust auf. Bei Dialysepatienten mit natriumarmer Diät treten ebenfalls häufiger Krämpfe auf, was unter Elektrolytgabe kurzfristig signifikant rückläufig ist. Unabhängig von einem möglichen Elektrolytverlust kann auch lokale Erschöpfung kleiner Muskeln wie einzelner Fingerbeuger, die auf den Elektrolythaushalt keinen nennenswerten Einfluß haben können, Krämpfe induzieren, so etwa längstens bekannt von Telegraphinnen (durch Morsen), was fortgesetzter abnormaler spinaler Reflexaktivität zugeschrieben wird.

Die Tatsache, daß der Krampf klar gelindert wird durch passive dehnende Intervention, legt nahe, daß Muskelspindeln und Golgiorgane involviert sind, derart, daß die Afferenz ersterer durch die Dehnung stärker erregt und die letzterer mehr gedämpft wird, und beim unwillkürlichen Krampf diese Kontrolle in umgekehrte Richtung entgleist. Im Falle eines von Krampf betroffenen Läufers zeigten Schwellnus et al. elektromyographisch eine dramatische reduzierte elektrische Aktivität durch dehnende Intervention. Die gleiche Quelle zeigte, daß inadäquates/unregelmäßiges Dehnen die Krampfneigung erhöht. Sie machten genetische Varianten in Komponenten des Bindegewebes dafür verantwortlich. In einer vergleichenden Studie unter Ultraausdauerathleten von 116 Probanden, die zu EAMC neigen und 150, die dieses Problem nicht kennen, zeigte sich der COL5A1 CC Genotype bei 21,8% der EAMC-betroffenen gegenüber 11,1% der Vergleichsgruppe.

Ein Review von Nelson und Churilla postuliert einen überzeugenden Beweis, daß Dehnen die erfolgreichste Intervention ist. In einer neueren Studie von Panza et al. ließ sich allerdings ein in gedehnter Position gehaltener Flexor hallucis brevis trotzdem elektrisch krampfinduzieren, was Miller et al. bestätigten. Trozt allem, ist die Krampfneigung inter-individuell sehr unterschiedlich und nicht einheitlich durch Belastung oder thermischen Streß provozierbar. Nach Schwellnus et al, 1997 ist die Krampfneigung höher, wenn der Muskel dann innerviert wird, wenn er bereits aktiv eine kurze Sarkomerlänge eingenommen hat. Burne zeigte, daß der in obiger Situation (ein bereits aktiv weitergehend kontrahierter Muskel wird innerviert) entstandene Krampf dadurch abgebrochen werden kann, daß die Afferenz der Sehne elektrisch stimuliert wird. In der Probandengruppe konnten allerdings bei 5 von 13 Probanden die Krämpfe trotz der als günstig für ihr Entstehen erkannten Bedingungen die Krämpfe nicht induziert werden.

Zu Krämpfen neigende Athleten zeigten eine niedrigere Schwelle für die Elektroinduktion von Krämpfen am Motornerv. Anästhesie des Nervs beseitigt die Elektroinduzierbarkeit nicht völlig, erhöht aber die Höhe des nötigen Stimulus und vermindert die Länge des Krampfes. Die Elektroinduzierbarkeit wird in einigen Studien von der Gabe einer Elektrolytlösung nicht beeinflusst, die die EAMC-Neigung vermindern soll, was einige Autoren dazu bewogen hat, die Elektrolyt-These zu verwerfen oder anzuzweifeln. Allerdings lag nach Gabe der Elektrolytlösung auch eine Hypernatriämie vor. Nach aktueller Studienlage kann muskuläre Ermüdung nicht als alleinige Ursache angesehen werden, aber als begünstigender Faktor. Dies zeigen auch Marathonläufer, die während des Laufes konsequent Elektrolyte und Wasser substituieren und trotzdem gegen Ende des Laufes eine erhöhte Krampfneigung zeigen. Von anderer Natur ist die Krampfneigung bei Sprintern gegen Ende ihres Laufes, da die Blutzusammensetzung sich auf der Kurzstrecke nicht signifikant ändert.

Von dem im Volk kursierenden Tips gegen Krampfneigung zeigte sich salziges, essigsaures Gurkenwasser wirksam, die Dauer von elektroinduzierten Krämpfen zu vermindern (1 ml 2 Sekunden nach Krampfinduktion). Die Intensität des Krampfs war allerdings unbeeinflusst. Ein Einfluß auf die Plasmakonzentration ist hierbei ausgeschlossen. Daher wird ein nervaler Effekt der oralen Gabe auf die Feuerrate der Alpha-Motoneurone angenommen. Rückschlüsse auf EAMC sind also nicht möglich. Studien zeigen die begrenzte Einsatzfähigkeit von Elektroinduktion von Krämpfen beim selben Individuum, da die Auslösungsschwelle (im selben Muskel derselben Extremität, nicht kontralatera!) durch wiederholte Versuche langanhaltend angehoben wird, also ein Gewöhnungsseffekt auftritt.

Grundsätzlich können Krämpfe auch medikamenteninduziert oder medikamentös begünstigt sein. Häufige Lokalisationen sind Wade oder Fußgewölbe. Die Polypharmazie multimorbider Patienten bringt häufig eine erhöhte Krampfneigung mit sich: Diuretika, Statine und Beta-2-Sympathikomimetika sind die häufigsten Verursacher. Bei Hinweise auf eine Schädigung des 1. Motoneurons ist neurologische Abklärung erforderlich. Achte auf Hinweise wie Pyramidenbahnzeichen, Erhöhungen des Muskeltonus, gesteigerte Reflexe, verbreiterte Reflexzonen, spastische Paresen. Auch bei Schädigung des 2. Motoneurons und Hinweisen darauf wie schlaffe Paresen, Muskelatrophie, Reflexausfäle ist neurologische Abklärung sinnvoll. Ebenso bei Radikulopathien und Polyneuropathien. Schwangerschaft disponiert ebenfalls zu Krämpfen, eine Quelle nennt für die drei Trimester 11,6%, 28,2% und 50,2%. Nach einer amerikanischen Studie leiden 46% der COPD-Patienten unter Krämpfen und bezeichnen diese als größer Schmerzquelle. 37% der über 60-jährigen Amerikaner leiden unter nächtlichen Beinkrämpfen (NLC: nocturnal leg crapms), überwiegend Wadenkrämpfen. Dies mag darauf zurückgehen, daß der Verlust medullärer Neuronen in der Domäne der unteren Extremität größer ist als bei der oberen, was dort zu neuromuskulären Koordinationsstörungen disponiert. Desweiteren disponieren Störungen wie Diabetes mellitus, Störungen der Schilddrüsenfunktion, Leberzirrhose oder der Einsatz der Hämodialyse.

Nach ihren Ursachen können Krämpfe eingeteilt werden in:

  • paraphysiologisch: etwa bei körperlicher Überlastung (EAMC: Exercise-associated muscle cramp (EAMC)) oder Schwangerschaft
  • symptomatisch: bei neurologischer oder internistischer Ursache
  • idiopathisch: ohen erkennbare Ursache

Ursache

– Verhalten

  1. Überbeanspruchung der Muskulatur
  2. Benutzung der Muskulatur in sehr kurzen Sarkomerlängen
  3. Hyperventilation

– metabolische Faktoren / Versorgung

  1. primäre (ernährungsbedingt, erhöhter Bedarf) oder sekundäre (längerer Durchfall, CEDs, Zöliakie, MAS, Alkoholkonsum, Diabetes mellitus, Nierenerkrankungen, Medikamente) Hypomagnesiämie
  2. primäre (ernährungsbedingt, erhöhter Bedarf, zu geringe Tageslichtexposition) oder sekundäre (längerer Durchfall, CEDs, Zöliakie, MAS, Hypomagnesiämie, Albuminmangel, chronische Nierenerkrankungen, akute Pankreatitis, Gastrinom, Bulimie, endokrine Entgleisungen (Hypo-PTH, Hyper-Calcitonin, Hypo-Vitamin D3), Antiepileptika) Hypocalcämie
  3. Hyponatriämie
  4. Hypokaliämie
  5. medikamentös
  6. internistische Ursachen: Durchblutungsstörungen (arteriell oder venös),
  7. Beinödeme, Urämie; Myopathien: Myotone Dystrohopie, Alkoholische Myopathie; Neurologisch: Polyneuropathie, Radikulopathie, Spinale Muskelatrophie, Amyotrophe Lateralsklerose; Metabolisch: Hypothyreose, Urämie, Hämodialyse

Bewegungsapparat

  1. orthopädische Ursachen
  2. Muskelerkrankungen

– sonstige Faktoren

  1. neurologisch (verschiedene, u.a. ALS, Polyneuropathien)

Prädisponierend

  1. Gravidität

Symptome

  1. krampfartiger Muskelschmerz mit erhöhtem Tonus und vermindertem Bewegungsspielraum, erhöhte Dehnungsschmerzhaftigkeit

Therapie

  1. Unterbrechen der Belastung
  2. nicht kühlen
  3. Dehnen als Sofortintervention (autogene Hemmung durch Golgirezeptoren) und regelmäßige Prävention, mehrmals täglich je mindestens dreimal für je mindestens 30 s.
  4. Anspannen der Antagonisten
  5. Substitutionstherapie mit Elektrolyten, vor allem Salz und Magnesium (300-400 mg/d Tagesgesamtdosis, beachte die Aufnahme aus der Nahrung; das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt Gaben nur bis 250 mg, Überdosierung und Hypermagnesiämie vor allem bei Niereninsiffizienz vermeiden!) Viele Patienten haben allerdings Mg-Substitution bereits erfolglos ausprobiert, wenn sie sich wegen Krämpfen beim Arzt vorstellen.
  6. bei Versagen der Substitutionstherapie mit Elektrolyten: Chininsulfat (mindestens 80%ige orale Bioverfügbarkeit, verlängert die Refraktärzeit; 200-400 mg/d, zum Vergleich: bei der Malariatherapie etwa 2100 mg/d; Wirkung studienbelegt; Größte Plasmakonzentration nach 3 h, Halbwertszeit 11 h. beachte mögliche gastroinstetinale NW und neurologische bei Überdosierung). Chinin reduziert nicht die Dauer oder Intensität der Krämpfe, aber ihre inzidenz und wird bei Neigung zu nächtlichen Krämpfen nach dem Abendessen oral eingenommen. Die Wirkung kann nach 4 Wochen beurteilt werden. Beachte die KI wie Schwangerschaft und Stillzeit, Bradykardie, Arrythmie und Wechselwirkungen mit herzwirksamen Medikamenten. Theophyllin in Kombination mit Chinin ist wirksamer als Chinin alleine.
  7. Elektrostimulationstherapie (wwiederholte Elektroinduktion von Krämpfen steigert die Asulösungsschwelle)
  8. besteht der Schmerz nach 48 h noch, Abklärung einer Zerrung