pathologie: skoliose

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Skoliose

Definition

Es gibt zwei Formen der Skoliose: die funktionale, reversible Skoliose ohne Verdrehung der Wirbel und in der Regel ohne Progredienz, wie sie etwa bei Beckenschiefständen, Beinlängendifferenzen auftritt und die fixierte Skoliose, eine fixierte Seitenverbiegung der WS von mindestens 10° nach Cobb, meist mit Rotation einiger Wirbelkörper verbunden. Die Wirbelkörper sind dabei ein wenig rotiert: die Dornfortsätze sind wegen der sie dorsal stark zusammenhaltenden Längsbänder und der autochthonen Rückenmuskulatur nach medial, also zur Konkavseite gedreht, die Wirbelkörper sind also ventral nach lateral gedreht.
Die entstehende Deformität ist also dorsal gekennzeichnet durch einen Rippenbuckel auf der Konvexseite und ein Rippental auf der Konkavseite. Die Messung nach Cobb mißt zwischen der Deckplatte des kranialen und der Bodenplatte des kaudalen Wirbels mit der jeweils größten Abweichung, also in der Regel den Wirbeln in beiden Wendepunkten, zwischen denen das Maximum der Verbiegung liegt..

Vorkommen: 2-4% der Bevölkerung haben eine ausgeprägte Skoliose, Frauen 6-mal häufiger; erste Symptome und Diagnoststellung meist im 10.-12. Lj. 68% der über 60-jährigen haben eine Skoliose. Schwere Skoliosen sind bei Frauen/Mädchen 7-mal häufiger. in 97% familiär gehäuftes Auftreten; erkrankt ein eineiiger Zwilling, dann in 70% auch der andere. Die Progression der Krümmung verhält sich direkt proportional zum Wirbelsäulenwachstum und nimmt mit dessen Geschwindigkeit weiter zu. Je früher eine Skoliose auftritt und je mehr Längenwachstum demnach noch zu erwarten ist, desto größere Skoliosen sind zu erwarten. Bei frühem Beginn ist eine agressive Korsettbehandlung indiziert. Nur 5% der juvenilen Skoliose sind nicht progredient. Im pubertären Wachstumsschub werden zuweilen 5° – 10° / a nach Cobb erreicht, seltener auch bis zu 40°. Skoliosen werden nach dem Bereich mit dem größren Krümmungsmaß (Majorkurve) bezeichnet, kompensatorische Krümmungen zum Erhalt der Gesamtstatik werden als Minorkurven bezeichnet. Thorakale Krümmungen reichen meist von Th4, Th5 oder Th6 als oberstem Wirbel bis L1 als unterstem, thorakolumbale hinab bis L2, L3 oder L4. Sie treten auf als:

  1. S-förmige Skoliose: die häufigste Form, Krümmung nach einer Seite mit kompensatorischer Gegenkrümmung nach kranial oder kaudal
  2. Totalskoliose oder C-Skoliose: Krümmung nach einer Seite ohne Gegenkrümmung; etwa weniger häufig
  3. Tripelskoliose oder Doppel-S-Skoliose: Krümmung nach einer Seite mit kompensatorischer Gegenkrümmung nach kranial (HWS) und kaudal (LWS)

Die kompensatorischen Krümmungen nach kaudal und kranial, also in der LWS und HWS sind meist rotationsfrei. Skoliosen sind oft von unphysiologischen Kyphosen oder Lordosen begleitet. Bei deutlicheren Ausprägungen sind die Zwischenwirbelräume auf der Konkavseite verengt, und die Wirbel entwickeln sich als Keilwirbel, ebenfalls auf der Konkavseite schmaler. Auch sind auf der Konkaxseite die
Bogenwurzeln und Wirbelbögen kleiner und daher der Spinalkanal eingeengt. Die meisten Skoliosen werden in einem asymptomatischen Stadium im Alter von 10 – 12 Jahren entdeckt. Bei weiblichen Heranwachsenden kann zur Abschätzung der Entwicklung nach der Menarche gefragt werden, weil bekannt ist, daß das Wachstum noch etwa 2 Jahre danach anhält. Skoliotische Kinder sind i.A. asymptomatisch, treten jedoch Symptome auf, müssen diese abgeklärt werden, da sie sowohl Komorbitäten darstellen als auch in ursächlichem Zusammenhang mit der Skoliose stehen können.
Die Formen nach Ätiologie:

  1. idiopathische Skoliose: die häufigste Form (80-90%). Hier lassen sich nach Zeitpunkt des Auftretens infantil (bis 3. Lj.), adoleszent (4. -10 Lj.) und Erwachsenenskoliose unterscheiden.
  2. Säuglings-/Fehlbildungsskoliose: angeboren, bei schweren vorgeburtlichen Entwicklungsstörungen wahrscheinlich durch asymmetrische Entwicklung der Rückenmuskulatur oder Wirbelfehlbildungen, z.B. verursachen Keilwirbel (in frontaler Ansicht) eine Skoliose. Weitere Ursachen: Fehlbildungen der Rippen, Verwachsungen (Synostosen), Defekte im Rückenmarkskanal
  3. adoleszente Skoliose durch Überbeanspruchung (Kinderarbeit, Sport); Haltung, Belastung, Degeneration werden als Faktoren diskutiert
  4. metabolische Skoliose: durch Erkrankungen des Knochenstoffwechsels wie z.B. juvenile Osteoporose, Rachitis (heute in Westeuropa de facto ausgestorben), Osteogenesis imperfecta (Glasknochenkrankheit), Homozystinurie, Melatonin-Stoffwechselstörungen
  5. neuropathische Skoliose: durch Erkrankungen des Nervensystems, z.B. Myasthenia gravis, virale Myelitis, frühkindliche Hirnschädigungen (z.B. infantile Zerebralparese), neurodegenerative Krankheiten, Rückenmarksschäden, WS-Tumoren. Diese Skoliosen können massive Ausmaße erreichen.
  6. paralytische Skoliose: meist bei Hemiparesen
  7. myopathische Skolisose: aufgrund von Muskelerkrankungen, z.B. Muskeldystrophie Duchenne:, 50% der Betroffenen entwickeln Skoliose, meist im frühen Jugendalter nach Verlust der Gehfähigkeit. Weiter Arthrogrypsosis multiplex congenita (AMC, Guérin-Stern-Syndrom), eine angeborene Gelenksteife verschiednster Ausprägung
  8. Narbenskoliose: post-op
  9. posttraumatische Skoliose: durch Frakturen im Becken oder der WS, Rückenmarksverletzungen, Verbrennungen, Amputationen, WS-OPs
  10. mesenchymale (fasziale) Skoliose: durch Erkrankungen des Bindegewebes wie z.B. Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom, schwere Narbenbildung im Mesenterium
  11. radiogene Skoliose: Folge einer Strahlentherapie im Kindesalter
  12. entzündliche Skoliose: Osteitis, Osteolyelitis, durch schwere Entzündungen im Bereich der Wirbelkörper
  13. osteochondrodysplastische Skoliosen: Mukopolysaccharidosen, Spondyloepiphysale Dysplasie, Multiple epiphysäre Dysplasie, Achondroplasie, Diastropher Kleinwuchs, Osteoporose
  14. durch lumbosakrale Veränderungen: Spondylolyse, Spondylolisthesis
  15. statische Skoliose: durch Beinlängendifferenzen
  16. bei RA
  17. durch andere Systemerkrankungen wie Neurofibromatose, Skelettdysplasien

ICD M41

Ursache

  1. 90% unbekannt
  2. (siehe Formen nach Ätiologie)

Prädisponierend

  1. rasches Längenwachstum: Jugendliche mit Skoliose sind im Durchschnitt größer als solche ohne
  2. einseitige Belastungen
  3. Hypokyphose der BWS

Diagnose

  1. Stadien nach Skoliosewinkel (COBB-Winkel der Wirbel-Deck/Grundplatten im Röntgen)
  2. aktive Ausgleichbarkeit
  3. passive manuelle Redressierbarkeit
  4. neurologische Tests zum Ausschluß neurologischer Ursachen
  5. Röntgen

Symptome

  1. zu 80% rechtskonvexe BWS-Rotations-Skoliose (bei Vorbeuge über die Wirbelfortsätze schauen)
  2. Rotation einzelner Wirbelkörper
  3. einseitiger Schulterhochstand
  4. asymmetrische Talliendreiecke (Becken-Thoraxseite-Arm-Dreieck)
  5. bei ausgeprägter Skoliose: Thoraxdeformität mit eingeschränkter Lungenfunktion. i.d.R. durch seitliche Verlagerung des Oberkörperschwerpunkts meist arthrotische Veränderungen in Knie oder Becken
  6. meist einseitig betonte Rückenschmerzen
  7. in schweren Fällen Dynpnoe, Tachypnoe, Tachykardie

Komplikationen

  1. Spondylarthrose
  2. Bandscheibenschäden
  3. ggf. durch Verkleinerung des Brust- und Bauchraumes Einschränkungen von Herz, Lunge und seltener auch anderer innerer Organe
  4. in schweren Fällen (über 80° nach Cobb) Insuffizienz des rechten Herzens (artriale Füllung), durch Einschränkung der Vitalkapazität cor pulmonale, reduzierte Lebenserwartung

Therapie

  1. Therapie: bei Skoliosewinkel bis 20°: KG, Wirbelsäulengymnastik
  2. bis 20° konsequente KG, neurophysiologische Übungen und Elektrostimulation; Skoliosetherapie nach Schroth
  3. 20° – 50°: zusätzlich zur KG: individuell angefertigtes Korsett, macht anfangs schon mal Verschlechterung und muss bei Heranwachsenden ggf. jährlich neu gefertigt werden
  4. ab 50°: bei entsprechendem Leidensdruck: operative Intervention in Form von Versteifung. Es stehen dorsale Verfahren und bei Indikation auch ventrale Verfahren zur Verfügung. Die Indikationen für eine OP stellen sich hauptsächlich aus der Progredienz:
    a) unaufhaltsam oder erhebliche Verschlechterung trotz Korsett,
    b) thorakal progredient,
    c) Lungenfunktion progredient verschlechternd, sowie weiteren Faktoren: psychische Schwierigkeiten durch die Korsettbehandlung, ausgeprägte Schmerzsymptomatik in BWS oder LWS, ausgeprägte Verunstaltung des Schulterbereichs.
  5. bei Säuglingsskoliose: Bauchlagerung, konsequente KG