exploration: gehen

Gehen


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letzte Änderung: 30.5.2003
Name: Gehen

Anleitung

  1. In dieser facettenreichen Exploration werden einige Fakten und Zusammenhänge der Kinetik des Gehens verständlich und fühlbar. In den einzelnen Teilen und in den Details werden einige elementare biomechanische Zusammenhänge erklärt, die hilfreich sind das Gehen zu verstehen.
  2. Das Gehen hat viele veränderliche Parameter, die bis zu einem gewissen Maß variiert werden können, ohne dass es seine Funktion einbüßt. Variiert man einige der Parameter stark, so eskalieren bestimmte Größen, das Gehen wird beispielsweise unphysiologisch gelenkbelastend, zu langsam, zu anstrengend.
    1. Neigungswinkel des Beckens gegen die Senkrechte und evtl. Bewegung des Beckens (Grad der Flexion, Sturmschritt).
      Kippe das Becken beim Gehen mal mehr und mal weniger (oben) nach vorn und beobachte die Veränderungen. Diese erste Exploration dürfte vor allem die progrediente und gleichsinnige (je mehr, desto mehr) Erleichterung der Anstrengung bei kraftvollen Schritten erfahrbar machen, die dadurch entsteht, dass das Becken ein wenig nach vorn gekippt wird. Gleichzeitig verändert sich mit dem Ausmaß dieses Kippens naturgemäß die Arbeit und auch die Wahrnehmung der Rückenmuskulatur: es wird anstrengender und sie ermüdet schneller. Bei deutlich nach vorn gekipptem Becken entsteht sehr schnell ein krampfartiges, überfordertes Empfinden der Rückenmuskulatur, wenn der Oberkörper aufrecht gehalten wird. Wird der Oberkörper ebenfalls deutlich nach vorn gekippt, verlagert sich einerseits der Schwerpunkt, so dass der Fuß früher zum Schritt nach vorn gesetzt werden muss, andererseits nimmt die empfundene Anstrengung nochmals zu, die krampfartige Note verschwindet aber weitgehend. Dafür werden spürbar die Hüftextensoren akquiriert um das Becken mit dem Oberkörper zu halten. Versuche als nächstes mit jedem Schritt das Becken nach vorn oder hinten zu kippen. Dabei ist das Kippen in die gleiche Richtung wie es die Hüftbeuger ziehen, deutlich einfacher als in die Gegenrichtung.
    2. Hebewinkel des Oberschenkels nach vorn-oben beim Schritt nach vorn und Zeitpunkt des Hebens. Experimentiere mit der Höhe, um die das nach vorn gezogene Bein angehoben wird und dem Zeitpunkt, an dem damit begonnen wird sowie der Geschwindigkeit. Der Hebewinkel hängt maßgeblich vom Krafteinsatz der Hüftbeuger ab. Werden diese kraftvoll eingesetzt, so kippt wegen der Massenträgheit das Becken durch die Beschleunigung ein wenig nach vorn. Außerdem hemmt diese Bewegung die Schwerpunktverlagerung nach vorn, wenn sonst alle anderen Parameter gleich bleiben. Insbesondere der Rectus femoris wird dadurch vorzeitig ermüden. Der Körperschwerpunkt beschreibt beim Gehen typischerweise in grober Näherung eine Sinusfunktion. Durch übermäßiges Anheben des Beins werden die Krümmungen dieser Schwerpunktsfunktion größer, der Gang kraftraubender, weil hier und dort größere Beschleunigungen und Verzögerungen notwendig sind und auch der Verschleiß vor allem der Gelenke erhöht sich. Wird das nach vorn gezogene Bein zu spät angehoben, entsteht ein Gefühl in den nächsten Schritt zu fallen. Dieses Gefühl verstärkt sich, wenn das Becken zusätzlich nach vorn geneigt wird. Bei eher frühem und übermäßigen Anheben des Beins entsteht tendenziell eine verminderte Vorwärtsbewegung; wird das Bein spät und weit angehoben, entsteht das Gefühl, als ‚falle‘ man in den nächsten Schritt, die Schwerpunktkurve zeigt eine größere Amplitude, die Effizienz lässt nach und der Verschleiß erhöht sich.
    3. Streckwinkel im Kniegelenk beim Schritt nach vorn und evtl. Halten der Streckung.
      Der Gang beinhaltet zwangsweise eine Streckbewegung im Kniegelenk, wenn das Bein nach vorn gezogen wird. Ohne diese Streckung würde sich die Schrittlänge auf unökonomische Weise verkürzen und das hintere Kreuzband unnötig beansprucht werden um die schwerkraftgemäße Translationsneigung des Oberschenkels gegenüber dem Unterschenkel nach ventral zu unterbinden. Diese Streckung kann vermindert oder übermäßig ausgeführt werden. Wenn vermehrt, wird zusätzliche, der Fortbewegung nicht dienliche Anstrengung im Quadrizeps aufgewendet und empfunden, je länger das Bein gehalten bzw. je langsamer es gestreckt wird, desto mehr vor allem im Rectus femoris. Auch hier wird wieder die Schwerpunktkurve deformiert. Im Extrem entsteht das Gefühl, in jedem Schritt eine eka pada prasarita tadasana auszuführen. Wird die Streckung des Kniegelenk bei gleichzeitig unveränderter Aktion des hinteren Beins vermindert, so entsteht tendenziell eine verminderte Geschwindigkeit, ein leicht „unrundes“ Ganggefühl, eine größere Beanspruchung des Quadrizeps als Kniestrecker und eine größere Belastung der Strukturen des Kniegelenk, vor allem des hinteren Kreuzbandes.
    4. Streckung des Fußes beim Schritt nach vorn.
      Die Streckbewegung im Fußgelenk vor dem Aufsetzen des Fußes hat eine große Auswirkung auf das Abrollverhalten des Fußes. Ab einer gewissen Schrittlänge und davon abhängig einer bestimmten Streckung im Fußgelenk ist eine Abrollbewegung nicht mehr möglich. Der Fuß muss dann erst einmal vorn im Ballenbereich aufgesetzt und von vorn nach hinten abgerollt werden, bevor die normale Abrollbewegung von hinten nach vorn erfolgen kann. Diese kann aber auch ausbleiben, so dass der Fuß bis zum Abheben für den Schritt nach vorn vollflächig aufgesetzt bleibt. Dies verzögert die Schrittfolge und führt zu einem ungleichmäßigen Gang. In jedem Fall sollte der Gang an Kraft verlieren, im letzteren Fall trägt der Trizeps surae aus Gastrocnemius und Soleus auch nicht mehr aktiv zum Vortrieb bei, was den Verlust an Vortrieb nochmals vermehrt und die Hüftbeuger stärker fordert, um das Bein nach vorn zu ziehen, weil der Trizeps surae es kein bisschen dorthin drückt. Je weniger der Trizeps surae arbeitet, desto mehr müssen die Hüftbeuger arbeiten, damit die Fußspitze nicht anstößt und Stolpern droht.
    5. Aufsetzpunkt des Fußes und Abrollbewegung (uni-/bidirektional).
      Dieser Parameter ist eng an den vorigen gebunden. Der Aufsetzpunkt hängt stark von der Streckung des Fußgelenks und der Schrittlänge ab. Je weiter vorn der Aufsetzpunkt liegt, desto näher rückt die Notwendigkeit einer inversen Abrollbewegung von vorn nach hinten, bevor die eigentliche von hinten nach vorn erfolgen kann. Wie bereits diskutiert kann das eine große Auswirkung auf die Arbeit des Trizeps surae haben oder seine Möglichkeit, zum Vortrieb beizutragen. Im Falle einer inversen Abrollbewegung vor der üblichen muss er auch exzentrisch kontrahieren bevor er konzentrisch kontrahierend einen Beitrag zum Vortrieb leisten kann. Weniger beim Gehen, aber beim Running würde dies die Gefahr einer Zerrung vergrößern.
    6. Beugebewegung/Federn im Knie nach Aufsetzen des Fußes und vor dessen Abheben.
      Mit dieser Bewegung geht ein Heben und Senken des Beckens und des restlichen Körpers einher. Beim Senken des Beckens muss der Quadrizeps diese Bewegung in einer exzentrischen Kontraktion abstoppen um alsdann wieder mit einer konzentrischen Kontraktion das große Teilkörpergewicht zu heben. Dies verursacht viel Arbeit und Anstrengung im Quadrizeps. Weiter wird die Muskulatur des Unterschenkels in stärkerer Weise einbezogen, weil beim Abstoppen des großen Teilkörpergewichts eine größere kinetische Kraft kontrolliert werden muss. Auch die Hüftmuskulatur wird beim Abstoppen kräftiger stabilisierend einbezogen. Darüber hinaus werden die Hüftextensoren beim Verzögern des Absenkens und beim Anheben des Teilkörpergewichts akquiriert, was ohne Absenken des Beckens kaum erforderlich wäre, sie bräuchten nur ihren Beitrag zum Vortrieb zu leisten. Dies geschieht, da die Massenträgheit des Teilkörpergewichts mit dem Oberkörper eine weitere Hüftflexion bewirken will. Diese Exploration zeigt eine der besten Möglichkeiten, die Amplitude der Schwerpunktsfunktion deutlich zu vergrößern ohne das Glattheitsmaß deutlich zu verschlechtern, was vermutlich die Relation zwischen Trainingseffekt und Neigung zu Nebenwirkungen ebenfalls verschlechtern würde.
    7. Einsatz der Fußheber beim Heben des Fußes vom Boden.
      Der Winkel der Plantarflexion beim Heben des Beins um es nach vorn zu ziehen entscheidet mit darüber, ob wir über unsere Füße stolpern oder nicht. Ein übermäßiger Einsatz würde die Fußhebergruppe in nicht notwendiger Weise beanspruchen und möglicherweise vorzeitig ermüden lassen. Anders als im Falle des Gastrocnemius als Strecker des Fußgelenks sind die Fußheber völlig von der Bewegung im Kniegelenk entkoppelt. Eine Analogie zum dorsalen Gastrocnemius, der das Kniegelenk beugt und das Fußgelenk nach plantar streckt fehlt im ventralen Unterschenkel: keiner der Dorsalflexoren des Fußgelenks hat eine Wirkung auf das Kniegelenk. Die Position des Oberschenkels ist also nur über die Geometrie mit den Fußhebern verbunden, indem sie den Unterschenkel steiler stellt bei wenig oder spätem Einsatz der Hüftbeuger mit Folge erhöhter Neigung zu stolpern oder flacher, so dass ein Anstoßen des Fußes kaum mehr möglich ist. Hüftbeugung und Einsatz der Fußheber entscheiden also gemeinsam darüber wie groß die Neigung zu stolpern ist. Menschen mit einer Schwäche der Fußheber müssen demnach vermehrt mit den Hüftbeugern das Bein anheben um nicht zu stolpern, was zu einem charakteristischen Gangbild führt.
    8. Winkel der plantaren Flexion beim Aufsetzen des Fußes.
      Dieser Winkel ist ein entscheidender Faktor im Beitrag der Wadenmuskulatur zum Vortrieb. Ein negativer Winkel, also eine Dorsalflexion und auch sehr kleine Winkel können zu einem sehr harten Aufsetzen der Ferse führen. Je größer andererseits die Plantarflexion, desto weniger kann der Trizeps surae zum Vortrieb beitragen, außer es würde zuerst noch eine inverse Abrollbewegung (von vorn nach hinten) erfolgen. Die geschilderte Abhängigkeit gilt auch unabhängig davon, wie kräftig der Trizeps surae arbeitet: seine Gesamtarbeit ist letztlich ein Integral der ausgeübten Kraft über den Winkelbereich, je kleiner also der Winkel bei ansonsten gleichem Krafteinsatz, desto kleiner muss die insgesamt entfaltete Kraft ausfallen. Dies schließt allerdings nicht aus, dass der Trizeps surae nur mit geringer Kraft im Fußgelenk streckt und die Bewegung des Beins nach vorn ausschließlich oder weitgehend aus Kraft der Hüftbeuger geschieht.
    9. Kraft und Bogenmaß der plantaren Flexion um den Körper nach vorn zu drücken.
      Wie bereits oben geschildert, ist der Winkelbereich eine wichtige Größe in der Kraftentfaltung, die andere ist die über diesen Weg eingesetzte Kraft. Bei gleicher auf jedem Grad entfalteter Kraft ist die Gesamtbeschleunigung der Ferse und damit des Beins um so größer, je größer das Bogenmaß ist. Je nachdem, wie sich die Plantarflexion zu der Bewegung des Beins nach vorn aus Kraft der Hüftbeuger und der Veränderung des Beugewinkels im Kniegelenk verhält, kann die Plantarflexion den restlichen Körper nach oben drücken, nach vorn drücken oder auch das Kniegelenk in weitere Beugung drücken, wenn der Quadrizeps das zuließe oder gar die Knieflexoren oder Hüftbeuger daran mitwirken würden.
    10. Schrittlänge.
      Die Schrittlänge ist ein wichtiger Faktor in der erreichbaren Schrittgeschwindigkeit und in der Ökonomie. Bei zu kurzen Schrittlängen sind übermäßig viele Schritte für die Fortbewegung nötig und damit auch übermäßig viele Bewegungsumkehrungen der Extremität Bein, also viele positive und negative Beschleunigungen. Auch wenn die einzelne dazu benötigte Energie geringer ist als bei größeren Schrittlängen, kann die Summe doch deutlich größer sein. Die Logik dahinter ähnelt der der Frage, bei welcher Geschwindigkeit man im Regen am trockensten bleibt: je geringer die Geschwindigkeit, desto nasser wird man. Im Grenzwert würde man bei Null Geschwindigkeit unendlich nass. Eine große Schrittlänge senkt den Körperschwerpunkt notwendigerweise zwischendurch ab. Idealisiert kann man sich das als ein gleichschenkliges Dreieck vorstellen, dessen Höhe umso geringer wird, je größer die Breite wird. Die Schenkel des Dreiecks sind dabei die Beine, die Breite des Dreiecks die Schrittlänge. Wenn zwischendurch die Beine wieder weitgehend gestreckt werden, muss mit jedem Schritt die resultierende Höhendifferenz erarbeitet werden, sprich die verloren gegangene potentielle Energie wieder hinzugefügt werden. Wird um dieses zu vermeiden mit ständig deutlich gebeugten Beinen und dem Versuch gegangen, den Körperschwerpunkt weitgehend auf einem Niveau zu halten, so müssen die Quadrizeps und die Hüftextensoren viel veränderliche Haltearbeit leisten, im Grenzwert bei maximaler Kniebeugung wäre dies der berüchtigte Entengang, den wir wegen seiner kniegelenkgefährdenden Wirkung natürlich nicht ausprobieren. Diese Art des Gehens muss notwendigerweise kraftaufwendiger sein als nötig. In beiden obigen Fällen sollte die Mehrarbeit der Quadrizeps und Hüftextensoren gut spürbar werden. Je nach den anderen Parametern kann eine nennenswerte Dehnung im Gastrocnemius des hinteren Beins entstehen, wenn der Trizeps surae nicht aktiv zum Vortrieb genutzt wird.
    11. Kraft, die die Hüftextensoren Pomuskulatur/Ischiocrurale Gruppe einsetzen um den Körper nach vorn zu treiben.
      Wie in den Details beschrieben, kommt der Vortrieb beim Gehen hauptsächlich aus den Hüftextensoren. Je größer der Krafteinsatz, desto größer sind auch die Auswirkungen auf die horizontale Oszillation des Beckens und die Kippneigung um die Linie zwischen den Acetabuli. Je nachdem, wie die anderen Parameter des Gehens gewählt werden, kann ein einseitig „schuborientiertes“ Gangbild entstehen, das im mittleren Bereich der Hüftextension eine deutlich erhöhte Geschwindigkeit zeigt, und in dem Zeitintervall, bis die nächste Hüftextension wieder kraftvoll erfolgen kann, eine abgefallene Geschwindigkeit. Dieser Gang ist grundsätzlich nicht optimal, und führt zu einer vorzeitigen Erschöpfung, jedoch dauert es ein wenig länger als bei anderen Parametern, da die Hüftextensoren generell eine eher kraftvolle und ausdauernde Muskelgruppe sind.
    12. Supination/Pronation.
      In Ruhe der Unterschenkelmuskulatur besitzt das Fußgelenk eine Inversionsneigung, wird sich also ohne äußere Einwirkung in eine Adduktion, Plantarflexion und Supination begeben, wie in der entsprechenden Exploration gezeigt. Da zusätzlich auch der Trizeps surae eine leichte Supinationswirkung hat, ist Aktivität der Unterschenkelmuskulatur erforderlich, um ein stabiles, ausgewogenes Abrollen des Fußes zu garantieren. Individuelle Gangbilder zeigen oftmals eine Supinations– oder Pronationsneigung, was dann meist auch im Abnutzungsbild des Schuhwerks zu erkennen ist. Grundsätzlich ist es aber möglich, bewusst während des Abrollens Pronations– und Supinationsbewegung auszuführen.
    13. Ein- oder ausgedrehte Position des Fußes beim Aufsetzen
      Dieser Teil experimentiert mit der Rotation des Beins im Hüftgelenk im Moment, in dem der Fuß für den nächsten Schritt auf dem Boden aufsetzt. Normalerweise rollt der Fuß von hinten nach vorn mit einer nicht ganz geradlinigen Bewegung ab, es ist jedoch auch möglich die Abrollbewegung diagonal verlaufen zu lassen: von hinten-außen nach vorn-innen oder von hinten-innen nach vorn-außen. Grundsätzlich sind beide Varianten insbesondere für das Kniegelenk nicht besonders verträglich, weil es nicht achsengerecht belastet wird. Die Variante von hinten-innen nach vorn-außen sollte natürlicherweise nicht auftreten, da dazu das Bein eingedreht aufgesetzt werden muss. Sowohl die Hüftbeuger, die das Bein nach vorn ziehen, verursachen aber ein Exorotationsmoment im Hüftgelenk als auch der zuvor vor allem bei kraftvolleren Schritten benutzte Hüftextensor Gluteus maximus. Hingegen finden sich eindrehende Muskeln nur in der dorsalen Hüftmuskulatur sowie unter allen Adduktoren nur in Gestalt des Adduktor magnus, was ein deutliches Übergewicht der ausdrehenden Muskeln ergibt. Experimentiert man jetzt mit der Abrollbewegung von hinten-innen nach vorn-außen und dreht dazu das Bein vor dem Aufsetzen der Ferse ein, merkt man, dass dies einen ungewohnten Krafteinsatz benötigt. Auch wird die Abrollbewegung ungewohnt erscheinen und möglicherweise intuitiv als „falsch“ wahrgenommen. Die umgekehrte Abrollbewegung von hinten-außen nach vorn-innen kann durchaus natürlicherweise auftreten, vor allem dann wenn der Tonus der im Hüftgelenk exorotierende Muskeln erhöht ist und zudem eine strammere Gangart bemüht wird. Auch bei diesem Gang mag dem Probanden allerdings Zweifel kommen, ob diese Bewegung „richtig“ ist. Davon ab beeinträchtigen beide Abrollbewegungen einen kraftvollen Einsatz des Trizeps surae.
    14. Drehbewegung auf dem Fuß beim Schritt.
      In diesem Teil wird wieder mit einer Bewegung experimentiert, die insbesondere für das Kniegelenk, nachrangig auch für das Hüftgelenk nicht besonders physiologisch ist. Eine Drehbewegung des Fußes kann sowohl auf der Ferse als auch auf dem Ballen erfolgen, wenn vor der regulären Abrollbewegung eine inverse Abrollbewegung von vorn nach hinten erfolgt. Auch die Drehrichtung kann sowohl von einem eingedrehten Zustand zu einem ausgedrehten Zustand als auch umgekehrt erfolgen. Auch hier wird das Experiment zeigen, dass die Exorotation während des erfolgenden Schritts die einfachere ist gegenüber der Endorotation. Dies gilt umso mehr, je größer die Reibung ist, die der aufgesetzte Fuß bietet. Der Grund ist das bereits diskutierte Ungleichgewicht zwischen den beiden Gruppen von Rotatoren. Unphysiologisch sind diese Abrollvarianten unter anderem, weil über die Reibung am Boden ein Rotationsmoment im gebeugten Kniegelenk des gerade aufgesetzten Fußes entsteht, beruhend darauf, dass diese Bewegung im Hüftgelenk initiiert wird und gegen die Reibung des Fußes auf dem Boden erfolgt. Wegen der Beugung des Kniegelenk beim Schritt kann dies nicht von den Kollateralbändern aufgefangen werden, und selbst das wäre nicht gerade physiologisch. Des Weiteren rotiert das Hüftgelenk unnötigerweise bei jedem Schritt, was auch dort den Verschleiß fördern würde. Erfolgt die Drehbewegung bei aufgesetztem Fußballenbereich, werden auch die Strukturen des Fußes und Fußgelenks belastet.
    15. Seitliche Position der Knie gegenüber den Füßen.
      Es ist eine weitere unphysiologische Weise zu gehen, wenn sich in dem Moment, in dem der Fuß (ohne inverse Abrollbewegung also die Ferse) auf dem Boden aufsetzt, das Knie lateral oder medial der Sagittalebene durch Acetabulum und Fußgelenk befindet, also zu weit außen oder innen bzgl. der senkrechten Ebene durch Hüftgelenk und Fußgelenk. Abhängig von Schrittlänge und Gehgeschwindigkeit erfolgt die Abrollbewegung typischerweise in unter einer Sekunde. In dieser Zeit müsste das Knie definiert wieder in die beschriebene Ebene zurück gebracht werden. Da aber nur wenig Zeit zur Verfügung steht, muss es entsprechend dorthin beschleunigt und auch wieder abgestoppt, also negativ beschleunigt werden. Dies fein zu dosieren, ist in der Kürze der Zeit kaum möglich. Daher wird beim Versuch in der Praxis eine gedämpfte Schwingung um die angestrebte Lage herum stattfinden. Wenn das Knie weiter lateral ist, der Fuß aber korrekt im Zielgebiet aufgesetzt wird, folgt daraus, dass sowohl eine Abduktion als auch eine Exorotation im Hüftgelenk vorliegen muss.
    16. Ausdrehen und Wiedereindrehen des Beins beim Schritt nach vorn.
      Wie bereits geschildert, führt der Zug der Hüftbeuger zu einem Exorotationsmoment im Hüftgelenk. Wenn dem nicht entgegengewirkt wird, würde das nach vorn beschleunigte Bein also ausdrehen. Um dann den Fuß wieder achsengerecht aufzusetzen, müsste das Bein noch vor dem Aufsetzen des Fußes auf dem Boden im Hüftgelenk wieder eingedreht werden. Auch hier wird die ungewohnte Arbeit wieder spürbar, das Bein einzudrehen
    17. Anheben/Absenken der Hüfte des entlasteten Beins.
      Dieser Teil wirkt wiederum ein wenig künstlich und unnatürlich. Bei Schädigung des Gluteus medius oder mehr noch des Gluteus minimus tritt jedoch ein pathologisches Absinken der Hüfte des Spielbeins auf, wenn einer oder beide der genannten Muskeln als beckenstabilisierender Abduktor nicht hinreichend arbeiten. Dies wird im positiven Duchenne-Zeichen bzw. Trendelenburg-Zeichen sichtbar und wird als Watschelgang bezeichnet. Dieses Absinken des Beckens macht eine größere Hüftbeugung nötig, damit der Fuß beim Schritt nach vorn nicht mit den Zehen über den Boden schleift oder zumindest eine größere Arbeit der Fußheber. Eine Beckenposition, bei der beide Hüften gleich hoch sind, wird dann erst wieder in der Belastungsphase des Beins hergestellt, wenn dessen Strecken die bezügliche Hüfte hoch drückt. Tritt dies einseitig auf, entsteht ein sehr unrundes, asymmetrisches Gangbild. Die Gelenke der kontralateralen (zur erkrankten) Seite sind dann ständigen kleinen Stoßbelastungen ausgesetzt, was ihren Verschleiß fördert. Das gilt natürlich auch für beidseitige Erkrankungen. Umgekehrt kann auch versuchsweise die Hüfte des nach vorn zu ziehenden Spielbeins angehoben werden, was die Arbeit der beiden genannten Muskeln spürbar macht. Dabei muss darauf geachtet werden, dass das Anheben nicht aus einer Seitwärtsbewegung des Oberkörpers über die Muskulatur zwischen Rumpf und Becken unternommen wird. Gerade die kräftige schräge Bauchmuskulatur würde sich gut dazu eignen, aber auch etwa der Quadratus lumborum. Der Rumpf soll so wenig wie möglich verändert werden, abgesehen von einer nicht vermeidbaren LWS-Lateralflexion. In der Analyse ergeben sich hier natürlich ständig wechselnde Abduktions-/Adduktionsverhältnisse beider Beine.
    18. Drehbewegung des Beckens in der Ebene.
      Normalerweise bewegt sich das Becken beim Gehen relativ gleichmäßig nach vorn, abgesehen von den beschriebenen kleinen Kipp- und Drehbewegungen, die mit der beim Gehen eingesetzten Kraft und der erzielten Geschwindigkeit zunehmen. Diese Drehbewegung kann nun auch bewusst über das natürliche Maß hinaus betrieben werden. Es kommt dann zu einer ständigen Drehung des Beckens wechselnd in beide Richtungen, ähnlich der Unruhe einer mechanischen Uhr. Diese Bewegung wird natürlich hauptsächlich aus den im Hüftgelenk rotatorisch wirksamen Muskeln initiiert. Der naheliegende Fall ist dabei, dass das Becken auf der zum Standbein kontralateralen Seite nach vorn bewegt wird, wie es auch im Wirkungsspektrum des Gluteus maximus natürlicherweise auftritt. Grundsätzlich ließe sich dadurch die Schrittweite um die Differenz der Positionen der Hüftgelenke in Längsrichtung vergrößern. Dies mag der eine die andere als Kind spielerisch ausprobiert haben. Die gegenläufige Bewegung, also die kontralaterale Hüfte nach hinten zu bewegen, ist ungleich schwerer, da sie einer Dimension der Aktivität des Gluteus maximus zuwiderläuft, und sie zeigt wiederum, dass die Endorotation im Hüftgelenk beim Menschen eine schwächer veranlagte Bewegung ist als die Exorotation. Es braucht nicht viel Phantasie sich vorzustellen, wie Jahrmillionen unserer zweibeinigen hominiden Vorgänger eine Flucht nach seitwärts mit dem Wegdrehen des Beckens vom Standbein eingeleitet haben statt mit der Gegenbewegung, dem Hindrehen, was die Gefahr erhöht über ein eigenes Bein zu stolpern.
    19. Zirkumduktion.
      Die Zirkumduktion (auch: Circumduktion) kommt oft als Folge eines apoplektischen neurologischen Schadens vor, bei dem die Flexion im Hüftgelenk ausfällt. Ersatzweise wird die bezügliche Hüfte angehoben, damit der Fuß vom Boden abhebt, dann wird das Bein abduziert und in einer bogenförmigen Bewegung nach vorn geführt. Unterstützend kann dabei die Beweglichkeitseinschränkung der Hüftbeuger sein: wenn das Becken oben nach hinten gekippt wird, resultiert daraus ein Impuls, der das Bein nach vorn beschleunigt.
    20. Durchschnittliche Höhe des Beckens.
      Dieses Thema ist bereits zuvor angeschnitten worden. Die Schwerpunktkurve kann auf unterschiedlichem Niveau verlaufen, eine überdurchschnittliche Höhe setzt eine übermäßige Aktivität des Trizeps surae voraus, die hauptsächlich in die Höhe des Beckens umgesetzt wird und nicht vorrangig in den Vortrieb. Ein unterdurchschnittlicher Verlauf der Schwerpunktkurve bedeutet, dass dauerhaft mit weiter als notwendig gebeugten Kniegelenk gegangen wird, was den Quadrizeps deutlich fordert und auch die Winkel in den Fußgelenken verändert, so ist z.B. mit deutlicherer Dorsalflexion beim jeweils hinteren Fuß zu rechnen.
    21. Schlenkern der Arme.
      Eine synchrone und gegenläufige Bewegung der Arme dient dem Massenausgleich, mindert Energieverluste und verbessert damit die Ökonomie, minimiert den Verschleiß vor allem in Kniegelenk und Hüftgelenk, steigert die mögliche Geschwindigkeit sowohl des Gehens als auch des Laufens. Ohne gegengleiche Bewegung der Arme würden die beim Beschleunigen und Verzögern des Beins durch die Massenträgheit auftretenden Rotationsbewegungen des Beckens einerseits in Bein-Hüftgelenk-Apparat zu Kraft- und Energieverlusten führen, andererseits würden sie sich über das Becken über den Oberkörper bis in den Schulterbereich und Kopf übertragen, so dass dort mit jedem Schritt Gegenbewegungen erforderlich wären. Die synchrone gegengleiche Bewegung der Extremität erzeugt den in der unteren Extremität erzeugten Momenten und Impulsen entgegengesetzte Momente und Impulse am anderen Ende des Rumpfes, die sich innerhalb des Rumpfes neutralisieren, so dass dessen Torsion und die notwendigen Ausgleichsbewegungen ungleich geringer ausfallen. Dies ist bereits beim Gehen ein deutlich wahrnehmbarer Effekt. Der Versuch, die Arme unbewegt im Sinne von starr zu halten führt sofort zu einem ungewohnten und angestrengteren Gang. Lässt man die Arme hingegen locker, geschieht wenigstens noch eine Art „passiver Massenausgleich“. Für einen schnellen, effizienten und verschleißarmen Gang müssen die Arme jedoch aktiv in Gegenrichtung der Beine bewegt werden. Beim Running wird nochmal deutlicher. Die oben genannten Versuche die Arme starr bzw. nur passiv bewegt zu halten, führen diese Bewegungsform schnell ad absurdum. Darüber hinaus wird dies beim Sprinter noch einmal klarer: Einerseits muss er für einen guten Massenausgleich viel bewegte Masse besitzen, also voluminöse Arme haben, andererseits muss die Muskulatur den Arm schnell beschleunigen können, also eine hohe Muskelleistungsfähigkeit besitzen.
    22. Drehung des Oberkörpers.
      Wie bereits weiter oben argumentiert erzeugt die positive und negative Beschleunigung jedes Beins über die Massenträgheit einen Impuls, der das Becken nach hinten bzw. vorn beschleunigt, also in der Horizontalen dreht. Diese oszillierende Beckenbewegung kann künstlich forciert werden. Das wird dann hauptsächlich mit den Rotatoren des Hüftgelenks initiiert. Anhängig von der Intensität der gegengleichen Bewegung der Arme kann dies zu einer mehr oder weniger großen Rotation im Oberkörper führen, bei gleichläufiger Bewegung der Arme die der Beine auch zu .
    23. Richtung: vorwärts – rückwärts.
      Die Vorwärtsbewegung des Menschen ist sehr tief in seinem Vorgängerstammbaum verankert. Es lassen sich viele Merkmale finden, die einen nach rückwärts gerichteten Gang ungleich schwieriger und wesentlich eingeschränkter gestalten. Das macht bereits ein erster Selbstversuch schnell klar. Zum ersten fehlt der Vortrieb, den der Trizeps surae beim Gehen und Laufen liefert: beim Rückwärtsgang muss auf dem Vorfuß aufgesetzt und nach hinten in Richtung der Ferse abgerollt werden. Da der Fuß bei gebeugtem Kniegelenk aufgesetzt werden muss, damit anschließend durch Streckung des Kniegelenk Vortrieb erreicht werden kann, steht der Unterschenkel abhängig von der angestrebten Geschwindigkeit relativ flach, so dass eine deutliche Dorsalflexionsfähigkeit im Fußgelenk erforderlich ist. Nur bei großen Schrittlängen und -geschwindigkeiten kann nach der Abrollbewegung noch ein wenig Plantarflexion stattfinden und damit Vortrieb aus dem Trizeps surae geleistet werden. Hierbei ist dessen ROM aber deutlich geringer und findet zudem im oberen Bereich der Sarkomerlängen statt, was die mögliche Arbeit und Leistungsentfaltung deutlich begrenzt. Weiter steht nicht die kraftvolle Gruppe der Hüftextensoren für den Vortrieb bereit sondern dieser muss vor allem aus dem Quadrizeps geleistet werden, der sich in der Regel diesbezüglich als deutlich schwächer erweist als die Gesamtheit der Hüftextensoren. Unterstützt werden kann der Quadrizeps dabei von den Hüftbeugern. Diese bestehen hauptsächlich aus dem Iliopsoas, der aufgrund seines langen Hebelarms einen großen ROM durchmessen muss und dadurch schnell ermüdet. Der zweite wichtige Hüftbeuger, der Rectus femoris. Da – außer bei großen Schrittlängen – das Abheben des Fußes am Ende der Abrollbewegung von der Ferse statt vom Fußballenbereich stattfindet, ist die stabilisierende Arbeit der Unterschenkelmuskulatur deutlich eingeschränkter und muss fast impulsartig am Beginn der Abrollphase stattfinden. Außerdem wird eine Menge Flexibilität der Hüftbeuger benötigt, um einen Fuß für den nächsten Schritt nach hinten zu setzen ohne das Becken deutlich nach vorn zu kippen. Zuletzt stört noch die mangelnde Sicht nach hinten, die natürlich technisch ausgeglichen werden kann.

Details

  1. Grundsätzlich sollte die Exploration im Zustand einer im ganzen Körper aufgewärmten Muskulatur erfolgen, da einige Muskelpartien und auch einige Gelenke weit über ein gewohntes Maß beansprucht werden können. Davon ab, wird nicht jeder diese Explorationen gleich intensiv bzw. bzgl. der Bewegungen extensiv ausführen wollen, möglicherweise weil er seinen Bewegungsapparat schonen will oder dies als geboten bekannt ist, oder die ungewohnten Belastungen schlecht einzuschätzen sind. Bei intensiver Ausführung kann für Außenstehende durchaus der Eindruck entstehen, man sei Mitarbeiter in Monty Pythons Ministry of Silly Walks oder übe für eine Bewerbung dort.
  2. Neigungswinkel des Beckens.
    Der Neigungswinkel des Beckens hat viele Auswirkungen: je flacher das Becken steht, desto weniger Flexibilität der Hüftbeuger wird benötigt. Menschen mit deutlichen Beweglichkeitseinschränkungen dort würden also dazu neigen, insbesondere bei großen Schrittlängen das Becken mehr oder weniger ausgeprägt nach vorn zu kippen. Außerdem hat das nach vorn geneigte Becken zur Folge, dass der Arbeitsbereich sämtlicher beteiligter Muskeln, sowohl der Hüftbeuger als auch der Hüftextensoren günstiger wird, weil im Sinne der Kraft-Längen-Funktion günstigere Sarkomerlängen vorliegen und damit mehr Kraft zur Verfügung steht, was die Ökonomie in unterer Extremität und Hüftmuskulatur verbessert. Im Falle des Rectus femoris würde das nach vorn geneigte Becken sowohl eine günstigere mittlere Sarkomerlänge (bezogen auf den Arbeitsbereich des Muskels in dieser Bewegung) und damit mehr Kraft bei der Hüftbeugung und beim Strecken des Kniegelenk bedeuten als auch gerade im Falle von Beweglichkeitseinschränkungen in diesem Muskel eine geringere Dehnungs- bzw. Spannungsempfindung im jeweils hinteren Bein.
  3. Wirkung der Beine auf das Becken.
    Darüber hinaus hängt auch umgekehrt die Neigung des Beckens von der Bewegung der Beine ab: Mit jedem Schritt bewirkt das hüftflektierende Drehmoment wegen der Massenträgheit des von hinten nach vorn beschleunigten Beins eine kleine Neigung des Beckens oben nach vorn, also ein Mehr an Flexion in beiden Hüftgelenken. Beim Schritt nach hinten zieht, je kraftvoller desto mehr, der Gluteus maximus den Beckenkamm nach hinten. Deutlich geringer und entgegengesetzt ist der Effekt der biartikulären Hüftextensoren in der Ischiocruralen Gruppe, die bei nur geringem Krafteinsatz, also bei gemütlichem Gang fast ausschließlich arbeiten: da ihr Ursprung distal der Acetabuli liegt, wirken sie der Hüftflexion nicht entgegen, sondern erhalten sie eher. Durch die Kraft, mit der beim Schritt nach vorn das Kniegelenk gestreckt wird, zieht der Rectus femoris das Hüftgelenk in die Flexion. Die Tätigkeit der Hüftbeuger des nach vorn gezogenen Beins kippen also, wie gerade geschildert, das Becken mehr oder weniger oben nach vorn. Das hat sowohl auf das kontralaterale Bein eine Auswirkung als auch auf den Oberkörper, denn letzterer muss diese durch die Bauchmuskulatur teilweise auffangen.
  4. Körperschwerpunkt.
    Wie bereits ausgeführt, beschreibt der Körperschwerpunkt typischerweise bei Gehen und Laufen in grober Näherung eine Sinusfunktion. Statt der Bewegung des empirisch schwer zu erhebenden Körperschwerpunkts kann in Annäherung die Bewegung der Krone des Kopfes betrachtet werden. Diese Bewegung kann mehr oder weniger ‚rund‘ oder ‚glatt‘ sein. Unter glatt kann man dabei tatsächlich das mathematische Glattheitsmaß, etwa in Form eines Integrals der zweiten partiellen Ableitungen verstehen, aber auch der intuitive Begriff von glatt wird dem hinreichend gerecht. Eine möglichst glatte Kurve steht dabei in einer gewissen Verbindung mit einem ökonomischen und zugleich verschleißarmen Gang bzw. Lauf. Das heißt aber nicht, dass eine kraftvolle Betonung bestimmter Aspekte des Bewegungsablaufes zwingend zu einer weniger runden Kurve führen würde. Genauso wenig folgt aus einer glatten Kurve zwingend eine verschleißminimale Bewegung. Für solche Schlüsse ist der Sachverhalt zu komplex und zu viele einzelne Faktoren lassen sich je durch eine einzelne andere oder eine Mehrzahl anderer kompensieren. Von diesen Überlegungen abgesehen unterscheidet sich die Verlaufsfunktion des Körperschwerpunkts im Laufen und Gehen derart, dass beim Laufen durch den Absprung der Körperschwerpunkt in der Mitte der Flugphase, also dann wenn die Füße etwa maximalen Abstand haben, am höchsten liegt. Im Gehen ist der Körperschwerpunkt aber bei maximalem Abstand der Füße am etwa niedrigsten statt wie bei Laufen am höchsten. Dies bedeutet auch, dass bei Gehen ein Teil der Bewegungsenergie von einem Schritt zum nächsten in potentieller Energie gespeichert bzw. darin umgewandelt wird, während beim Laufen mit dem umgekehrten Schwerpunktverhalten die Speicherung von kinetischer Energie eher in Form von elastischer Energie in dem Muskel-Sehne-System gespeichert wird. Im übrigen wird ein Läufer mit einem guten Laufstil eine erkennbar geringere vertikale Amplitude in seiner Schwerpunktsfunktion aufweisen als beim Gehen.
  5. Horizontale Oszillation des Beckens.
    In Analogie dazu, dass die Hüftflexion beim Zug eines Beins nach vorn die Neigung hat, das Becken (beidseitig) oben nach vorn zu kippen, hat die hüftextendierende Tätigkeit des Gluteus maximus bei forciertem Gang eine das Becken oben nach hinten kippende Wirkung, die die autochthone Rückenmuskulatur in Aktion bringt. Außer der gerade beschriebenen Bewegung des Beckens um seine Querachse, also der Achse durch die Acetabuli, bewirkt die Massenträgheit des nach vorn gezogenen Beins im Beginn dieser Phase eine Bewegung dieser Seite des Beckens nach hinten, hingegen zieht die Massenträgheit desselben Beins am Ende dieser Phase das Becken ein wenig nach vorn, woraus eine periodische Schwingung des Beckens um seine Hochachse resultiert. Diese Bewegung muss ebenfalls von der Hüft- und Beinmuskulatur aufgefangen werden, vor allem den kraftvoll im Hüftgelenk rotatorisch wirksamen Muskeln, Adduktor magnus als wichtigstem Endorotator und Gluteus maximus als wichtigstem Exorotator, aber nachgeordnet auch der dorsalen Hüftmuskulatur. Außerdem werden auch rotatorisch wirksame Muskeln des unteren Rumpfes mit einbezogen, namentlich vor allem die autochthone Rückenmuskulatur und die schräge Bauchmuskulatur. Die Wirkung auf die Bauchmuskulatur dürfte vielen Anfängern des Laufsports in Form von Muskelkater bekannt sein.
  6. Vortrieb.
    Der Vortrieb beim Gehen kommt hauptsächlich aus den Hüftextensoren, weil vor allem sie beim Schritt das Becken und damit den darüber liegenden Körperschwerpunkt gegenüber dem am Boden befindlichen Fuß nach vorn bewegen. Das ist einerseits der biartikuläre Anteil der Ischiocruralen Gruppe, andererseits der Gluteus maximus, nur wenig kommt aus der dorsalen Hüftmuskulatur. Diese Arbeit kann mit sehr verschieden großer Kraft ausgeführt werden, einerseits eher leicht, so dass nur der vorhandene Schwung, also die kinetische Energie erhalten bleibt, andererseits auch so kraftvoll, dass ein ausgeprägter Schub daraus entsteht. Natürlich ist die Gesamtbeschleunigung, die die Hüftextensoren in Summe leisten können, vom ROM der Bewegung abhängig und damit letztlich auch von der Einwirkungszeit und der Muskelleistungsfähigkeit. Des Weiteren kann der Trizeps surae einen gewissen Anteil zum Vortrieb leisten, indem er das Fußgelenk beim Schritt nach vorn drückt. Auch dies kann mit sehr variabler Kraft geschehen: findet einerseits keine Streckung des Fußgelenks aus Kraft des Trizeps surae statt, kann die gesamte Fußsohle am Boden verbleiben bis das Bein von den Hüftbeugern nach vorn gezogen wird oder, bei großen Schritten, bis die Beweglichkeitseinschränkung im Fußgelenk in Richtung Dorsalflexion das Abheben der Ferse bewirkt. Damit sind bei jedem Schritt zwei Impulse möglich: der aus den Hüftextensoren und der aus dem Trizeps surae. Bei intensivem Einsatz kann daraus ein leicht unrundes Gangbild bzw. eine deutlich schwankende Geschwindigkeitsfunktion resultieren.
  7. Der Bewegungsapparat der unteren Extremität weist eine interessante anatomische Struktur auf. Angepasst an die Anforderung zweibeiniger Bewegung nach vorn gibt es kraftvolle Muskeln, die im Fußgelenk strecken um einerseits den Körper nach vorn zu drücken, andererseits dabei aber eine Plantarflexion verursachen, die wieder aufgehoben werden muss, damit die gleiche Bewegung beim nächsten Schritt wieder erfolgen kann. Das leistet die Gruppe der Fußheber. Sie müssen und können aber keinen aktiven Beitrag zum Vortrieb leisten, so dass sie wesentlich weniger kräftig ausgelegt sind. Gleichzeitig braucht aus eben diesem Grunde keiner von ihnen einen Bezug zum Oberschenkel, sie müssen beim Laufen und Gehen nur periodisch den Vorfuß heben. Die weiteren Vortrieb leistenden Muskeln sind Gluteus maximus und Ischiocrurale Gruppe. Bei letzterer verlaufen die Muskeln als gleichzeitige Kniebeuger und Hüftstrecker. Dies hat den Vorteil, dass sowohl beim Schritt nach vorn als auch beim Abdrücken des hinteren Fußes in den beiden benachbarten Gelenken, also in Hüftgelenk und Kniegelenk je die Gegenbewegung stattfindet. Damit das überhaupt von dieser Muskulatur unterstützt werden kann, müssen die Hebelarme und damit die zurückgelegten Bogenmaße in beiden Gelenken unterschiedlich sein. In der Tat ist der Hebelarm im Kniegelenk – auch aufgrund der Größe des Gelenks im Vergleich zum Hüftgelenk – deutlich kleiner. Diese Tatsache hat für die Dehnung der Muskeln wichtige Implikationen. Soll etwa der Rectus femoris gedehnt werden, so ist die Bewegung im Hüftgelenk pro Winkelgrad wichtiger als die im Kniegelenk. Das erklärt auch die gute Wirksamkeit der 2. Quadrizepsdehnung an der Wand, die für zunehmende Dehnung zwar im Kniegelenk aus einer weit gebeugten Position heraus streckt, dafür im Hüftgelenk extendiert.
  8. Running vs. Walking.
    Einige der über das Gehen getätigten Aussagen gelten unverändert oder auch verstärkt für das Laufen, sei es in Form des eher gemütlichen Joggens mit kürzeren Schrittlängen, moderater Anstrengung und dem Spezifikum, dass aufgrund des moderaten Sauerstoffbedarfs und der daher begrenzten Atemexkursion und -frequenz das Sprechen in weitgehend unveränderter Form möglich bleibt, oder des Laufens (Running), das mit gehobenem Anstrengungsniveau und weiterer Schrittlänge, wesentlichem ausgeprägterem Einsatz des Gluteus maximus und der Ischiocruralen Gruppe als maßgeblich Vortrieb verleihenden Muskelgruppen ein höheres Stoffwechselniveau erreicht, das eine derart gesteigerte Sauerstoffschuld in den Geweben erreicht, dass damit eine sehr deutlich erhöhte Atemfrequenz- und tiefe erreicht wird, in der Sprache nicht mehr unangestrengt und durchgängig funktioniert. Jedoch gibt es zwischen Gehen und Laufen einige deutliche Unterschiede. Zum Beispiel liegt beim Jogging und Running anders als beim Gehen, bei dem sich Standbein– und Spielbeinphase eines jeden Beins nahtlos aneinanderreihen, eine Flugphase dazwischen, was einige Parameter deutlich verändert. Die Beschleunigung der Extremitäten beim Running ist deutlich höher als beim Gehen oder Joggen, das resultiert aus Schrittfrequenz und -länge. Demzufolge muss gegen die Massenträgheit deutlich mehr Leistung entfaltet werden. Zur Erinnerung: bei der Beschleunigung steht die Zeit gegenüber der Geschwindigkeit im Nenner, genauso wie bei der Leistung gegenüber der Arbeit, daher steigt der Quotient mit abnehmender Zeit hyperbolisch an. Außerdem wird beim Running der Massenausgleich zwischen der unteren und oberen Extremität ungleich wichtiger. Ohne die synchrone gegenläufige Bewegung der oberen Extremität hätte die Beschleunigung und Verzögerung jedes Beines in eine große Torsion des Rumpfes (oder auch Rotation im Raum) zur Folge, die beim nächsten Schritt wieder genau umgekehrt werden müsste, was viele Muskeln des Rumpfes kaum auf Dauer leisten könnten, und was darüber hinaus einen massiven Energie- und Geschwindigkeitsverlust bedeuten würde. Dieser Massenausgleich funktioniert umso besser, je massereicher die obere Extremität ist, dabei geht die Masse als proportionaler Faktor ein. Neben der Masse spielt auch die Amplitude der Bewegung der oberen Extremität eine sehr große Rolle, da dies eine Bewegung in der Zeit ist, geht sie nämlich hyperbolisch in die Rechnung ein, die benötigte Muskelleistungsfähigkeit steigt also nichtlinear an. Das ist der Grund der deutlich unterschiedlichen Statur beispielsweise eines Langstreckenläufers und eines Sprinters. Letzterer braucht nicht nur wie oben argumentiert eine massereiche obere Extremität sondern auch entsprechende Leistungsfähigkeit der Frontalabduktoren und deren Antagonisten bzw. Retrovertoren. Die Schultermuskulatur wird man also bei Sprintern immer gut ausgeprägt finden, diese kommen nicht ohne entsprechendes Krafttraining aus. Hingegen ist der Marathonläufer im Bereich des Oberkörpers eher Minimalist, da seine etwa halb so große Geschwindigkeit entsprechend überproportional weniger Muskelleistungsfähigkeit erfordert.
  9. Diese Exploration dient auch dazu, dem Unterrichtenden eine größere Sensibilität für Auffälligkeiten im Gangbild seiner Schüler zu vermitteln und kraft eines gewissen Verständnisses für die Zusammenhänge nach möglichen Ursachen suchen und diese womöglich versorgen zu können.