pathologie: morbus bechterew

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Morbus Bechterew (Spondylitis ancylosans, M.Pierre-Marie-Strümpell-Bechterew, Spondylarthritis ancylopoetica, rheumatiode Spondylitis)

Definition

meist schubweise verlaufende chronisch-entzündliche, vermutlich autoimmunologische, rheumatoforme Erkrankung der ISG, der kleinen Wirbelgelenke (Facettengelenke und Kostotransversalgelenke) v.a. der LWS und BWS und des Bandapparates der WS. Neben den Gelenken der Wirbelsäule sind in 50% auch das Hüftgelenk und in 1/3 das Schultergelenk mitbetroffen. Generell kann sich eine asymmetrische
Oligoarthritis einstellen, die zur Gelenkdestruktion neigt. Häufig geht dem Morbus Bechterew wie beim Morbus Reiter eine UGT- oder GIT-Infektion voraus. Die Rolle häufig im Blut vorhandener erhöhter Antikörper-Titer gegen Enterobakterien konnte noch nicht geklärt werden. IgA-Antikörper gegen Klebsiella pneumoniae scheinen wegen Ähnlichkeit eine autoimmunologisch gegen Teile des HLAB-27-Moleküls zu reagieren. Morbus Bechterew ist vermutlich keine Folge der westlich-zivilisatorischen Lebensweise, bereits im ausgehenden Mittelalter wurden vergleichbare Fälle beschrieben und es gibt eine 5000 Jahre alte ägyptische Mumie mit deutlichen Hinweisen auf Morbus Bechterew. Beim Schwein gibt es eine durch ein Bakterium ausgelöste sehr ähnliche Erkrankung: chronisches Erysipeloid (Rotlauf). Es gibt 2 Verlaufsformen:

  1. chronisch progredient im Sinne von kontinuierlich
  2. schubweise

Prävalenz einer Studie an Berliner Blutspendenden zufolge: 1,9%. Geschätzt 1,6 Mio in D, davon viele subklinisch oder mit milden Symptomen. Der Deutschen Vereinigung Morbus-Bechterew e.V. 100.000 – 150.000 Menschen in D, M:W 1:1, bei Frauen meist mit milderem Verlauf, was die Verknöcherung der WS betrifft, daher weniger Diagnosestellungen bei Frauen. Beginn der Erkrankung meist zwischen 20. und 25. Lj. nur in 5% nach 40. Lj. Stoppt in 85% vor dem Stadium der Hyperkyphosierung.

ICD M45

Ursache

  1. unbekannt, in 95% ist HLA-B27 positiv; familiäre Häufung

Prädisponierend

  1. HLA-B27 positiv: Risiko 90-fach erhöht

Diagnose

  1. Röntgen des ISG zeigt (erst nach dem Frühstadium) dessen Verschmälerung und Verknöcherung (vollständige Durchbauung, gleichzeitiger Knochenabbau und -Anbau, subchondrale Sklerosen)
  2. Highlight: Röntgen: Bambusstabwirbelsäule durch Syndesmophyten (subligamentäre Osteophyten an den Rändern der Wirbelkörperkanten) ab einem bestimmten Stadium
  3. Röntgen: Osteoporose und Arthrose der Ränder der Wirbelkörper, Entzündung und Zerstörung der Übergänge Wirbelkörper-Bandscheibe
  4. MRT zeigt die Sakroiliitis schon Jahre vor dem Röntgen !
  5. Tests und Zeichen: Schober (LWS: 10 cm kranial von L1: bis 4 cm ist path.), Ott (BWS: 30 cm kaudal von C7: bis 3 cm ist path.), Mênell, Flêche, Atemverschieblichkeit der Lungengrenzen, Atemexkursion (meist weniger als 2 cm), Hinterhaupt-Wand-Abstand
  6. Labor: HLA-B27 in 95% positiv; ist allerdings bei 9% der deutschen Bevölkerung vorhanden
  7. in schweren Fällen auch gelegentlich Erhöhung der AP
  8. Rheumafaktor negativ (gegen das Fc-Fragment des IgG gerichtete Autoantikörper verschiedener Subklassen (IgM, IgG, IgA, IgE)
  9. in 30-40% ausgeprägte BSG und CRP im Schub, bei kontinuierlichem Verlauf weniger stark ausgeprägt, in Remissionen nicht
  10. Ca wechselnd
  11. Entzündung der Sehnenansätze (Enthesopathien (Insertionstendopathie) meist an Achillessehne, Plantaraponeurose der Fußsohle, Sehnenansätze an Oberschenkelknochen und Becken (Trochanteren, Sitzbein, Beckenkamm) mit Ödemen und Schäden des Knochenmarks, das daraufhin verknöchert, Mitbetreff der Kapsel, Bildung von Granulationsgewebe unter dem Knorpel und schließlich Verknöcherung des ganzen Gelenks
  12. Diagnosestellung aufgrund Anamnese und der Diagnosekriterien der ESSG (European Spondylarthropathy Study Group) aus dem Jahre 1991: eines der Kriterien :
    • Morbus Bechterew in der Familie
    • Psoriasis (befundet oder auftretend)
    • CED
    • Beidseitig wechselnde Gesäßschmerzen
    • Fersenschmerzen
    • Sakroiliitis
    • Urethritis oder Cervicitis oder akute Diarrhoe innerhalb eines Monats vor Arthritis
    • Enthesiopathie (Insertionstendopathie) (Sehnenansatzschmerzen)

      und zusätzlich mindestens eins der Kriterien: Daneben gibt es noch die New York-Kriterien von 1984:
      • sich unter Bewegung verbessernder tiefsitzender Rückenschmerz und Steifigkeit für mindestens 3 Monate
      • eingeschränkte Beweglichkeit der LWS in sagittaler und frontaler Ebene
      • limitierte Thoraxexkursion
      • bilaterale Sakroiliitis Grad 2–4
      • unilaterale Sakroiliitis Grad 3–4

Symptome

  1. je jünger, desto eher zuerst Monarthritis (irgendeines Gelenks), in 99% zuerst bilaterale Sakroiliitis mit in der Tiefe lokalisiertem sich verstetigendem Kreuzschmerz (Ruheschmerz)
  2. später auch Oligoarthritis, meist asymmetrisch
  3. ischialgiforme Schmerzen, die zwischen re und li wechseln und bis in die Oberschenkel auf Höhe der Knie ziehen und danach abrupt enden. Keine neurologischen Ausfälle
  4. Morgensteifigkeit, Rückenschmerz insbes. in der 2. Nachthälfte, die sich bei Bewegung bessern, der Schmerz kann morgens so stark sein, daß er weiteren Schlaf verhindert. Steifigkeit nach Ruhephasen.
  5. Druckschmerzhaftigkeit über dem ISG
  6. Fersenschmerz
  7. im weiteren Verlauf Bewegungsverlust der kaudalen WS, Steilstellung der LWS und Hyperkyphosierung der BWS und Ausgleichshaltung der HWS (Hyperlordosierung)
  8. zunehmender Funktionsverlust der WS im Sinne der Beweglichkeit (Beugung, Streckung, Rotation), typisch ist dann, den ganzen Körper zu drehen, wenn man von der Seite angesprochen wird
  9. zusätzlich Begleitarthritiden v.a. an stammnahen Gelenken wie Hüfte, Knie, Schulter
  10. in 30% Iritis oder Iridozyklitis (auch Ziliarapparat betroffen)
  11. wegen Steife der BWS und bei Befall der Kostotransversalgelenke: inspiratorische Ventilationsstörungen, vermehrter Übergang zu Zwerchfellatmung, dadurch erhöhte Infektanfälligkeit für Atemwegsinfekte.
  12. veschwindende Lendenlordose
  13. nach Jahren der Krankheitsaktivität läßt diese meist nach, die Entzündung und die Schmerzen stoppen, die bereits erworbene Deformität aber bleibt. Es kann sich eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke oder gar eine Versteifung einstellen. Therapiebedarf besteht in der Regel weiterhin.
  14. in schwereren Fällen: beidseitige Coxarthritis, Arthritis der Gliedmaßen-Gelenke, extraartikuläre Manifestation
  15. in schwereren Fällen: dem Gegenüber nicht mehr in die Augen sehen können
  16. subfebrile Temperatur
  17. Nachtschweiß
  18. rasche Ermüdbarkeit
  19. ungewollter Gewichtsverlust
  20. Appetitlosigkeit

Komplikationen

  1. meist unilaterale lichtscheue akute anteriore Uveitis (Entzündung der mittleren Augenhaut) mit erhöhter Tränensekretion
  2. Wirbelkörperfrakturen schon durch leichte Traumen
  3. Katarakt, Glaukom
  4. meist asymptomatische Colitis, Ileitis (Entzündung des Ileums, der letzten 60% des Dünndarms), in 10% Übergang zu CED
  5. Schädigung der Lunge, Funktionsstörungen des Herzens, vor allem Reizleitungsstörungen (AV-Block 1. Grades), Aortenklappeninsuffizienz durch Dilatation des Aortenklappenrings
  6. Verlust von Lebensqualität, Lebenserwartung (wegen Herz/Lunge, Rückenmarksverletzungen, GIT-Blutungen, Behandlungs-NW), Berufsfähigkeit

Therapie

  1. PT, Mobilerhaltung mittels Bechterew-Gymnastik, Yoga, Pilates zur mehrmals täglichen Eigenanwendung, ggf. unter analgetischer Medikation. Bei Betreff der BWS auch Atemgymnastik
  2. NSAR, zuweilen wirkt auch ASS
  3. Meidung kyphosefördernder Haltungen und beruflichen Tätigkeiten, z.B. längeres Fahren von Kraftfahrzeugen, Arbeit in gebückter Haltung
  4. wenn erforderlich: Cortison, Sulfazalazin, niedrig dosierte Zytostatika
  5. Pamidronat (ein Bisphosphonat), Thalidomid (der Wirkstoff in Contergan), Radium 224-Isotop, teure und risikobehaftete TNF-alpha-Blocker Rezeptorfusionsprotein Etanercept und monoklonale Antikörper Adalimumab (hohe Therapiekosten)
  6. bei fortschschrittener WS-Versteifung in Kyphose ggf. operatives Aufbrechen, Keilosteotomie, risikoreich !
  7. bei Bedarf: Hüft-TEP