Bewegungsphysiologie: Muskelverletzungen

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Verletzungen von Muskeln und Sehnen machen zwischen 10% und 55% der im Sport vorkommenden Verletzungen aus. Grundsätzlich können sie längere Ausfälle oder sogar das Ende der Karriere als Sportler bedeuten, vor allem wenn sie nicht adäquat versorgt worden sind. Prophylaktisch ist das Aufwärmen des Bewegungsapparates wie auch die Umgebungsbedingungen sehr wichtig: Kälte und Nässe haben viele Nachteile und Risiken für den Bewegungsapparat. Typisch risikohafte Situationen für Muskeln sind schwunghafte exzentrische Kontraktion und der Wechsel aus schwunghafter exzentrischer Kontraktion in konzentrische Kontraktion, wie es etwa beim Abspringen nach dem Aufkommen aus einem Sprung der Fall ist. Muskuläre Ermüdung und Nachlassen der Bewegungskoordinierung stellen ebenfalls deutliche Risikofaktoren da, weshalb sich im Mannschaftssport viele Verletzungen im letzten Drittel des Wettkampfes ereignen. Aufwärmübungen sind eminent wichtig, aber falsch durchgeführt können sie auch ein Risiko darstellen. Das Aufwärmen des Muskels führt unter anderem zur Bereitstellung einer leistungsadäquaten Durchblutung, die sich ohne Aufwärmen nur entsprechend verzögert einstellen würde. Biartikuläre Muskeln sind weit häufiger von Verletzungen betroffen als monoartikuläre Muskeln. Unzureichend ausgeheilte Muskelprellungen stellen an der Grenze zwischen Narbengewebe und Muskelgewebe durch Elastizitätsunterschiede ebenfalls Prädilektionsstellen für weitere Verletzungen dar.

Bei Verletzung des Muskels muss unterschieden werden zwischen denen an der Ansatzstelle am Knochen, Verletzungen im Verlauf der Sehne selbst, Verletzungen des Muskel-Sehne-Übergangs und Verletzungen des Muskelbauchs. Verletzungen des Muskels können unterteilt werden in drei Typen: erstens Überdehnung/Zerrung oder Anriss, maximal 5% der Fasern betreffend, zweitens Kontinuitätsunterbrechung von mehr als 5% der Fasern und drittens vollständiger Durchriss mit entsprechenden Funktionsverlust. Mit dem Riss von Muskelfasern entsteht zwingend ein Hämatom. Da der Blutdurchsatz eines Muskels sich unter Last etwa um bis zu Faktor 2,5 erhöht, führen Muskelfaserrisse bei sportlicher Tätigkeit zu einem deutlich ausgeprägteren Hämatom als dies in Ruhe der Fall wäre. Anpralltraumen gegen einen angespannten Muskel führen in der Regel zu oberflächlichen Verletzungen und Hämatomen. Erleiden entspannte Muskeln Traumata, sind die Verletzungen und Hämatome meist profund und knochennah, was zu extraossären Verkalkungen führen kann. Daneben gibt es noch eine dritte Art Hämatom, welches in der Bindegewebsschicht zwischen Muskeln entstehen kann.

Verletzungstyp 1 und 2 zeigen meistens keine Ruheschmerzen, spätestens Typ 3 ein ausgeprägtes Hämatom mit entsprechender Druckschmerzhaftigkeit und möglicherweise Spannungsschmerz, so wie häufig einen schmerzhaften Hypertonus. Diagnostisch kann mit Hilfe der Sonographie der Umfang des Hämatoms, die Art der Verletzungen und die Muskelstruktur begutachtet werden. Unter der Sono kann ein Hämatom punktiert und eine intramuskuläre Injektion vorgenommen werden, außerdem die Muskelfunktion in situ beobachtet werden. Eine Kontrast-MRT zeigt Verletzungen der Muskeln und Sehnen sehr gut, wird jedoch im akuten Fall seltener eingesetzt als im chronischen Fall oder bei Insertionstendopathie und bietet ebenfalls die Möglichkeit auf beim Trauma mitentstandene Knochenverletzungen zu begutachten oder auch extraossäre Verkalkungen zu entdecken. Als letztes diagnostisches Mittel steht insbesondere bei Verdacht auf eine Insertionstendopathie die Szintigraphie bereit.

Die unmittelbare Intervention bei frisch eingetretenen Verletzungen der Muskels erfolgt nach dem PECH Schema, um die Hämatombildung und damit die zu erwartende Bindegewebsnarbe möglichst gering zu halten. Mit einer Druckmanschette kann die Durchblutung verringert werden, alle 20 Minuten wird der Muskel gekühlt. Das Hochlagern der Extremität dient dazu den Blutdruck am Ort des Geschehens zu mindern. Spätestens nach 24 Stunden sollte sich das Hämatom nicht weiter ausbreiten. Während dieser Zeit sollte das Geschehen beobachtet werden, um die Folgen eines zu spät entdeckten Kompartmentsyndroms auszuschließen. Während dieser Zeit können Muskelrelaxantien gegeben werden. Nach Abschluss der Ausbildung des Hämatoms, also nach 24 Stunden kann unter Sonokontrolle das Hämatom punktiert werden, was die Heilung begünstigt. Dies kann, falls nötig mehrfach hintereinander erfolgen. Auch nach über 72 Stunden kann das Hämatom koagulieren, was der Intervention bedarf, am besten durch Wiederverflüssigen und Aspiration unter Sonokontrolle. In ausgeprägteren Fällen sollte alle 2-3 Tage ein Sono erfolgen, um rezidivierende Blutungen zu entdecken und zu versorgen. Belastungen der Muskulatur sind in den ersten Tagen ausgeschlossen, bestenfalls Bewegungsübungen ohne Last können durchgeführt werden. Nach einer Woche kann begonnen werden Belastungen einzuschleichen, wobei das Auftreten von Schmerzen die Belastungsgrenze anzeigt.

Dehnungsübungen sind erst ab der zweiten Woche nach dem Geschehen indiziert, sie sollten in der Regel bilateral erfolgen. Gut dosierbare zyklische Bewegungsmuster ohne stoßartige Belastungsspitzen wie Radfahren können ab der dritten Woche wieder aufgenommen werden. Erst ab der vierten Woche kann sportartspezifisches Training wieder begonnen werden, wobei im überwachten angepassten Training in den ersten zwei Wochen NSAR und Muskelrelaxantien eingesetzt werden dürfen. Nach der Belastung kann gekühlt werden. Frühestens zwei Wochen nach dem Geschehen dürfen erste dehnende Massagen bis zur Verletzung Stelle erfolgen. Bei Verletzungen des Typs 3 sollte möglichst binnen 48 Stunden operativ interveniert werden. Bei sehr ausgeprägten Muskelfaserrissen sollte der Muskel genäht werden, was die Regeneration fördert und zu einer größeren erreichbaren Maximalkraft nach Abschluss der Heilung führt als ohne Naht, in Tierversuchen 80% der kontralateralen Kraft. Eine schlechte Prognose ergibt sich aus der Immobilisierung mittels Gips, da dabei ausgeprägte bindegewebige Bereiche entstehen. Nach der chirurgischen Intervention muss der Muskel für 7 Tage immobilisiert und entlastet werden, danach wird nach Sono entschieden, wann die Reha begonnen werden kann. Die Frage, ob ein Muskel nennenswerte Synergisten besitzt, verdient besondere Beachtung und kann über eine OP-Indikation mit entscheiden.

Grundsätzlich liegt die Erneuerungszeit von Muskelfasern bei drei Wochen, im Falle von kompletten Rupturen wird die Regeneration aber zwischen doppelt und vierfach so hoch sein. Die beim Muskelfaserriss entstehenden Hämatome verzögern das Abheilen deutlich. Der Entzündungsprozess, mit dem sich der Muskel repariert, beginnt bereits in der ersten Minute nach dem Trauma. Die Ausbildung von funktionslosem Narbengewebe beginnt nach zwei Wochen nach dem Trauma und ist nach weiteren 4 Wochen abgeschlossen. Zur Beschleunigung der Heilung können bei ausgeprägten Geschehen verschiedene Gewebewachstumsfaktoren in die verletzte Stelle gespritzt werden.