pathologie: POTS (posturales Tachykardie-Syndrom)

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Definition

Bislang noch wenig erforschte Dysautonomie (orthostatische Kreislaufdysregulation), bei der sich durch Lageänderung eine Tachykardie einstellt, entweder um mehr als 30 bpm (bei unter 20-Jährigen 40) oder auf über 120 bpm (im Stehen) bei kaum vermindertem Blutdruck (RRsyt max. minus 20 mmHg, RRdia max. minus 10 mmHg) während der ersten 10 min nach dem Aufstehen oder im Kipptischversuch.
Man kann mehrere Formen unterscheiden. Bei einer Form fallen von den drei Orthostaseregulationsmechanismen in der unteren Extremität zwei aus: die venöse und arterielle Konstriktion, daraus folgt eine orthostatische Hypovolämie. Es findet also ein venöses Pooling statt mit Ansammlung von Blut im Niederdrucksystem durch dilatierte Venen, was die Vorlast des Herzens senkt und eine Minderversorgung des Hirns und Erhöhung des Pulses zur Folge hat: physiologisch sinkt beim Übergang zum Stehen nach 3 min das Blutvolumen um 300 ml ab, nach 10 min um 600 ml. Bei POTS ist dieses Volumen verdoppelt. Das löst über Barorezeptoren eine Erhöhung der Pulsfrequenz aus.
Das kann durch eine erhöhte Gefäßpermeabilität der Kapillaren der Beine verursacht sein. Während die Orthostaseregulation physiologisch nach 1-2 min abgeschlossen sein sollte, geht bei POTS oft immer mehr Volumen durch die Kapilaren an das Interstitium verloren.

Neben der mangelnden Reaktion auf Adrenalin zum Stabilisierung des Blutvolumens durch Vasokonstriktion in der unteren Extemität liegt in manchen Fällen auch eine hypoadrenerge Lage vor. Ein Teil dieser Gruppe zeigt eine zentral erhöhte Sympathikusaktivität (adrenerge Form mit erhöhter Sympathikusaktivität).

Ebenfalls diskutiert wird eine inadäquate Reaktion von Barorezeptoren in der Carotis in aufrechter Position bei normaler Funktion in flacher Lage.

Es scheint auch eine neuropathische Form zu geben mit Denervierung kardialer und sudomotorischer (Schweißdrüsen-steuernder) sympathischer Nervenfasern.

Auch scheint ein geringerer Teil der Betroffenen unter einer generellen Hypovolämie zu leiden (hypovolämische Form).

Anamnestisch auffällig ist, daß 50% vor dem Erstauftreten des POTS einen viralen Infekt hatten, auch Zusammenhänge mit vorangegangenen Impfungen werden diskutiert. Ein Teil der betroffenen Patienen weist ein Reizdarmsyndrom (Colon irritabile) auf, was meist mit einer Mehrdurchblutung des Intestinums einhergeht und daher das verfügbare Blutvolumen verringert.

Eine zurückliegende längere körperliche Schonung schließlich kann ebenfalls zu einer verminderten Orthostaseregulationsfähigkeit durch vermindertes Herzzeitvolumen (hier vor allem: Schlagvolumen) führen. Längere Bettlägrigkeit ist also prädisponierend.

Studien zeigen einen mit 20% gegenüber physiologisch 10% erhöhten Abfall der Hirnversorgung bei POTS, entsprechend 10 mmHg gegen über physiologisch 4 mmHg , was direkt mit der Hyperventilation und der Hypokapnie korreliert. Angst oder Panik verstärken diesen Effekt.

Betroffen sind vor allem jüngere (Altersgipfel 15-50), meinst ansonsten organisch gesunde Menschen, die aber vielfach an einer oder mehreren funktionellen Störungen leiden wie Migräne, Reizdarmssyndrom, Reizblasensyndrom, Schmerzerkrankungen, Erschöpfungssyndromen, Schlafstörungen, Übelkeit, Schwindel, in-Watte-gepacktes Gefühl. Es besteht eine deutliche Schnittmenge mit CFS.

Frauen sind häufiger betroffen als Männer (5:1). Häufig beginnt die Symptomatik vor dem 18. Lj. und ist nicht selten progredient
In Deutschlad wird von einer Prävalenz von 0,1 – 1%, in den USA von 1-3 Mio. Betroffenen ausgegangen.

Die Prognose ist eher günstig, multimodale, verhaltenstherapeutische- und nachrangig auch medikamentöse Maßnahmen führen meist zu einer deutlichen Besserung, in 50% binnen 1-3 Jahren auch unbehandelt zur spontanen Besserung.

Ursache

  1. Autoimmunologische Prozesse nach viralen oder bakteriellen Infektionen, u.a. Covid-19
  2. Impfungen
  3. Traumata
  4. Streß
  5. zurückliegende oder anhaltende belastende Lebensphasen

Prädisponierend

  1. Fibromyalgie
  2. Ehlers-Danlos-Syndrom (ca. 80% zeigen ein POTS)
  3. Hypovolämie (Nierenfunktion ? gestörten RAAS ?)
  4. Sensibel-ängstliche Disposition
  5. Längere Bettlägrigkeit

Diagnose

  1. Kipptisch-Test (head-up-tilt-Test) mit kontinuierlicher nichtinvasiver hämodynamischer Überwachung
  2. Schellong-Test 1 (Stehen nach Liegen) und 2 (moderate Belastung wie Treppensteigen nach Liegen)

Symptome

  1. Schwindel
  2. ggf. Synkope
  3. Müdigkeit
  4. Benommensein
  5. Kopfschmerzen
  6. Konzentrationsstörungen,
  7. Hyperhidrosis
  8. Zittern
  9. Sehstörungen
  10. Dyspnoe, Tachypnoe
  11. Hitzeintoleranz
  12. Brustschmerzen
  13. Gefühl schwacher Beine
  14. Belastungsintoleranz, verminderte Belastbarkeit
  15. Angst, Panik
  16. ggf. kaum beherrschbare Erschöpfung nach Auftreten der Symptomatik
  17. Schlafstörungen (in 40%) durch nächtliche Tachykardien, Tagesmüdigkeit, gestörte Schlafstruktur
  18. Neigung zu Hyperventilation mit konsekutiver Hypokapnie und zerebraler Minderperfusion

Komplikationen

  1. Einschränkung der Erwerbsfähigkeit (in 25%)
  2. Depression
  3. Risiken eine Synkope
  4. Bettlägrigkeit

DD

  • orthostatische Hypotonie

Therapie

  1. Besserung binnen 5 Jahren in 50%, allerdings sind dann 81% nicht vollständig wiederhergestellt. Eine multimodale Therapie ist auf jeden Fall geboten.
  2. Verhaltensanpassungen: Lageveränderungen mit Oberkörpererhöhung verlangsamt durchführen, Vermeiden langen Stehens
  3. Risikofaktoren reduzieren: Übergewicht, Schonung und Inaktivität, Hyperventilation, Diuretika, Ca-Kanal-Blocker, Mineralocorticoid-Antagonisten, Beta-Blocker (sind nicht immer ein Risikofaktor)
  4. hinreichende Flüssigkeits-(mind. 2 l / d) und Salzzufuhr (mind. 10-12 g / d) oder NaCl-Infusionen.
  5. allgemein genügend Bewegung und körperliches Training, speziell Ausdauertraining (!) und Krafttraining gelten als wichtige Maßnahmen, auch wenn diese in aufrechter Lage unangenehm sind ! Anfangs können möglicherweise nur liegende Trainingsformen praktiziert werden: Schwimmen, Liegerad, alle Kräftigungsformen im Liegen. Es gibt spezielle Laufbänder mit Kompressionsbereich bis Hüfte oder Brust.
  6. Schlafdisziplin (darunter: kein Alkohol vor dem Schlafengehen, 6-8 h zuvor kein Koffein, Mittagsschlaf nicht länger als 30 min, nicht übermäßig lange nach dem Aufwachen im Bett verbleiben)
  7. Kompressionsstrümpfe und andere komprimierende Maßnahmen, darunter auch tonuserhöhendes Training der Bauchmuskulatur
  8. Überhitzung und Sauna vermeiden
  9. Alkoholkarenz
  10. Vermeiden größerer, schwererer Mahlzeiten
  11. in Absprache mit dem behandelnden Arzt alle dysregulationsfördernden Medikamente absetzen wie etwa Diuretika
  12. Atemintervention: bei Anzeichen der POTS-Symtome hilft verstärkte Zwerchfellatmung, da dadurch mehr Blut nach kranial befördert wird. Atemtechnik zur Vermeidung von Hyperventilation und Hypokapnie.
  13. Kryotherapie (ausgeprägt, aber auch moderat) vor allem der Beine, von Kneipp und kurzen Hosen bei geringen Temperaturen bis zur Kältekammer.
  14. Pharmakologisch: es gibt kein einziges zugelassendes Medikament gegen POTS. Daher sind alle Versuche experimentell und oft wenig erfolgreich mit: Mineralokortikoide, a1-Agonisten, Betablocker, Melatonin, Acetylcholinesterasehemmer, Antiallergika, Immunglobuline, ggf. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (bei ausgeprägteren Angstzuständen) und einige weitere
  15. Psychotherapie zur Linderung von Angst, Panik, Depression, die die POTS-Symptomatik verschärfen.
  16. Symptomatische Therapie von Komorbiditäten mit Wechselwirkung zu POTS.