pathologie: querschnittlähmung

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Querschnittlähmung (Paraplegie, spinales Querschnittsyndrom, Querschnittläsion, Transversalsyndrom, paraplegia/quadriplegia)

Definition

Die Querschnittlähmung ist kein eigenes Erkrankungsbild sondern die Komplikation der Schädigung des Rückenmarkquerschnittes mit Folge des Ausfall motorischer, sensibler oder vegetativer Funktionen. Inzidenz in D: 1000 / a, 80% männlich. Früher in 80% der Fälle WS-Trauma mit Wirbelbruch, meist verkehrsbedingt, heute wird der Anteil an Erkrankungen der WS größer. In Bangladesch z.B. sind Stürze mit Last auf dem Kopf die wichtige Ursache. 6-10% aller Querschnitte sind auch spinale Notfälle mit Bedrohung der Vitalfunktionen. Plegien sind komplette motorische Lähmungen, Paresen inkomplette motorische Lähmungen, schlaffe Lähmungen können in spastische übergehen. Reflexe (Eigen- oder Fremdreflexe) können vermindert sein oder ausfallen, die Sensitivität kann gestört sein oder ausfallen, genauso Innervation von Blase oder Mastdarm (Inkontinenz). Klassifikation des neurologischen Schadens nach International Standards for Neurological Classification of Spinal Cord Injury der American Spinal Injury Association (ASIA):

  1. A: Komplette Lähmung: keine motorische oder sensible Funktion in den Segmenten S4/5
  2. B: Sensibel inkomplette Lähmung: Erhaltene Sensibilität in den sakralen Segmenten S4/5
  3. C: Motorisch inkomplette Lähmung: Restmotorik unterhalb des neurologischen Niveaus und mehr als die Hälfte der Kennmuskeln unterhalb des neurologischen Niveaus haben einen Kraftgrad kleiner 3
  4. D: Motorisch inkomplette Lähmung: Restmotorik unterhalb des neurologischen Niveaus und wenigstens die Hälfte der Kennmuskeln unterhalb des neurologischen Niveaus haben einen Kraftgrad größer oder gleich 3
  5. E: Normal: normale Motorik der Kennmuskeln und normale Sensibilität. Pathologische Reflexe können persistieren

Unterscheide Paraplegie oder Paraparese (Lähmung der unteren Extremitäten bei Schädigung tieferer Abschnitte des Rückenmarks, ca. 60 % der Fälle) von der Tetraplegie oder Tetraparese (Lähmung aller vier Extremitäten bei Schädigung des Halsmarks, ca. 40 % der Fälle). Die Läsionshöhe wird durch das letzte noch intakte Rückenmarksegment definiert, kennzeichnend sind neben den Dermatomen (Ausfälle werden durch Kältereiz, Berührung oder Nadelstichreizung untersucht) die Kennmuskeln:

  1. C5 : M. biceps brachii (Beugung im Ellbogengelenk)
  2. C6 : M. extensor carpi radialis (Dorsalflexion im Handgelenk und Flexion im Ellbogen)
  3. C7 : M. triceps brachii (Streckung im Ellbogen)
  4. C8 : M. abductor digiti minimi (Abspreizen des kleinen Fingers)

Die Schädigung ab und oberhalb von C4 führt zu einem Ausfall des Nervus phrenicus, der das Zwerchfell enerviert, i.d.R. aber auch alle Interkostalnerven, so dass zwingend und sofort künstlich beatmet werden muss. Nach Ätiologie kann man in akute und chronische Ursachen unterscheiden, das Querschnittssyndrom selbst ist grundsätzlich chronisch

Ursache

  1. WS-Trauma mit in Röntgen oder CT nachweisbare Schäden: Verschiebung von WKn gegeneinander, Kompressionsfrakturen (z.B. durch Kopfsprung in zu flaches Wasser), Berst- oder Trümmerfrakturen mit Verlagerung von Knochenmaterial in den Rückenmarkskanal
  2. WS-Trauma ohne in Röntgen oder CT nachweisbare Schäden (SCIWORA: spinal cord injury without radiographic abnormality)
  3. spinale Ischämie, spinaler Infarkt
  4. spinale Blutung
  5. Bandscheibenvorfall (meist HWS, selten BWS)
  6. Entzündung des Rückenmarks (Querschnittmyelitis)
  7. Spondylodiszitis (Infektion der Wirbelkörper)
  8. Tumoren, meist Metastasen, in WK oder Spinalkanal; seltener Tumoren des Nervensystems selbst
  9. Autoimmunerkrankungen
  10. psychogen
  11. iatrogen, z.B. bei Skoliosekorrekturoperationen oder durch Repositionsmanöver
  12. Spinalkanalstenosen

Prädisponierend

  1. reduziertes oder supprimiertes Immunsystem ist Prädispo für Spondylodiszitis

Symptome

  1. voll ausgeprägtes spinales Querschnittsyndrom mit hoher Läsion zeigt drei Phasen:
    1. 1: Hypertension: nur wenige Minuten
    2. 2: Spinaler Schock (das ist kein Schock im eigentlichen Sinne), Wochen oder Monate: Ausfall von Regulationsmechanismen, Weitstellung der Gefäße durch erschlaffte Gefäßmuskulatur, hypotone Krisen, schlaffe Lähmung in abhängigen Segmenten, Ausfall der Muskeleigenreflexe, Kontrollverlust von Blase und Mastdarm, Dauer: Wochen bis Monate
    3. 3: Spastik, Hyperreflexie: spastisch überhöhter Muskeltonus, übersteigerte Regulation und Eigenreflexe, autonome Hyperreflexie, z. B. mit Blutdruckspitzen bei Manipulation an der Blase
  2. Sofort nach dem auslösenden WS-Trauma liegt das Vollbild der Ausfälle vor. Kommen weitere Ausfälle hinzu, deutet das z.B. auf Einblutungen
  3. Phase 3: progrediente Kontrakturen
  4. Liegt das auslösende Ereignis unterhalb von L1, entfällt Phase 3
  5. Bei nicht traumatisch sondern Erkrankungs-bedingten Querschnittlähmungen treten die Symptome oft langsam auf

Komplikationen

  1. Phase 2: akutes Nierenversagen, Schocklunge (ARDS)
  2. Phase 1: Kreislaufkollaps, Herzstillstand
  3. ausgefallene Kreislaufanpassung bei Lagerveränderungen (Aufstehen aus dem Rollstuhl), nach Monaten verbessern sekundäre Regulationsmechanismen die Lage
  4. Phase 3: vegetative Dysregulation (meist durch Überdehnung von Hohlorganen wie Blase, Enddarm, Gallenblase) mit Blutdruckspitzen, Kopfschmerzen, Hyperhidrosis, Gesichtsrötungen,..
  5. Thrombose
  6. Dekubitus
  7. paralytischer Ileus
  8. Ossifikationen

Therapie

  1. Sofort nach dem Geschehen: Sicherstellen und überwachen der Vitalfunktionen
  2. Schonender Transport, meist per Heli, in ein Polytrauma-Zentrum
  3. Im Wachzustand kann das Bild und der Ort der Schädigung abgeklärt werden
  4. Selbst sofortige operative Druckentlastung führt meist nicht zur Heilung, da der eigentliche Schaden im auslösenden Ereignis liegt
  5. Prophylaxe von Sekundärkomplikationen, z.B. durch Gibbus
  6. Orthesen, Rollstuhl,..
  7. Versuche medikamentöser Anregung der Nervenregeneration, z.B. Cordaneurin; Stammzellentherapie in Erforschung
  8. Lebenserwartung bei Paraplegie oder Tetraplegie etwa normal, bei hoher Tetraplegie mit Beatmungspflicht erheblich eingeschränkt, in Entwicklungsländern oder Mangelwirtschaften umso mehr, da teilweise bereits einzelne Druckstellen zu schweren septischen Verläufen führen oder inadäquate Blasenentleerungsmaßnahmen zum Nierenschaden führen können.