bewegungsphysiologie: herzratenvariabilität HRV

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Herzratenvariabilität / Heart rate variability HRV

Der gemessene Ruhepuls, besser gesagt die gemessene Herzfrequenz, ist meist eine über ein Zeitintervall ermittelte, also gemittelt. Physiologisch schlägt das Herz aber in Ruhe nicht völlig gleichmäßig, sondern leicht unregelmäßig. Das war schon dem chinesischen Arzt Wang Shu-ho (180 – 270 a.d.) bekannt, der bei einem völlig gleichmäßigen Schlag das Eintreten des Todes binnen drei Tagen prognostizierte. Die kleinen Schwankungen im Bereich einer Zehntelsekunde gehen auf den Einfluß von Sympathikus (Noradrenalin-vermittelt) und Parasympathikus (Acetylcholin-vermittelt) zurück, derentwegen auch kleine mentale/emotionale Vorgänge Schwankungen im Takt des Herzens hervorrufen. In Ruhe und unter geringer Belastung überwiegt die vagale Steuerung. Je besser das Herz an die hohe physische Belastungen angepasst ist, desto höher ist der vagale Ruhetonus. Das spiegelt sich in einem niedrigeren Ruhepuls und einer höheren HRV wieder. Davon ab hat die Atmung einen deutlichen Einfluß auf die Herzfrequenz: während der Einatmung beschleunigt sich der Puls ein wenig, mit der Ausatmung verlangsamt er sich wieder. Dieses Sympathikus-vermittelte Phänomen wird als respiratorische (Sinus-)Arrythmie bezeichnet. Sie ist um so ausgeprägter, je tiefer und angestrengter die Einatmung ist. Die Atemzyklen liegt meist im Bereich von 2 – 7 Sekunden. Die hochfrequenten Schwankungen werden fast ausschließlich über den Vagusnerv vermittelt, langsamere, entsprechend 0,04 bis 0,15 Hz, also der Größenordnung von rund 10 s, meist vagal und sympathisch. Die respiratorische Arrythmie fällt in den sogenannten HF-Bereich (high frequency) von 0,15 bis 0,4 Hz.

Beide Phänomene gehen in die Herzratenvariabilität HRV ein. Gemessen wird dabei der Abstand zweier benachbarter R-Zacken im EKG, auch RR-Intervall oder (um Verwechselungen mit Blutdruck zu vermeiden) NN-Intervall genannt. Chronischer Streß etwa bewirkt einen dauerhaften Sympathikotonus mit dauerhafter Pulserhöhung und (weitgehend unbeeinflußt vom Parasympathikus) eine Verstetigung des Takts mit Abschwächung oder gar Entfall der HRV. In den letzten Jahrzehnten ist viel zur HRV geforscht worden, so daß sie heute zur Risikoprognose, Leistungsobjektivierung und in der Streßmedizin und Psychophysiologie genutzt werden kann. Einige Faktoren wie Alter, Herzinfarkte, Herz-Kreislauf-Pathologien, oder chronischer Stress schädigen den schnell leitenden myelinisierten Vagusnerv, der Hauptfaktor in der HRV ist, so daß diese sich chronisch erniedrigt zeigt. Handelt es sich um passagere Störeinflüsse und dauern diese nur einige Monate an, so kann sich der Vagusnerv erholen, das zeigt sich dann in Tagesmüdigkeit. Insbesondere bei über Jahre anhaltendem Streß ist der Vagusnerv nicht mehr erholungsfähig, dann verschlechtern sich auch die nächtlichen Erholungsphasen. Aus der HRV-Messung kann man das Ausmaß der Schädigung des Vagusnerv erkennen und ggf. ein Burn Out als nächste Stufe voraussagen, zu den wenigen objektiven Parametern neben niedrigem DHEA, Noradrenalin/Adrenalin-Rate des Burn Out gehört zuallererst die HRV. Ist der Parasympathikus zusammengebrochen, kann in Folge auch der Sympathikus zusammenbrechen. Eine schlechte HRV kann als Prädiktor für kardiovaskuläre Mortalität gelten. Zu den Faktoren, die die HRV beeinflussen gehören:
Alkohol kurzfristig und chronisch: –
Atmung im Sinne der respiratorischen Sinusarythmie RSA
Sportliche Aktivität: während der Aktivität: – nach Erholung: +
Geschlecht: meist ist bei Frauen die parasympathische Aktivität höher als bei Männern
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinsuffizienz: –
arterielle Hypertonie und prähypertensive Blutdrücke: –
bei stattgefundenem Myokardinfarkt, bestehender KHK oder Angina pectoris: –
Sepsis: –
Nierenerkrankungen: –
Stoffwechselerkrankungen: –
Hitze –
Schadstoffe: –
Medikamente: –
Kälte -/+ Adaption an Kälte meist erst nach 60 Tagen,
erhöhtes Körperfett –
Lärm –
Alter: in jungen Erwachsenenjahren ist die HRV am höchsten und fällt dann nichtlinear ab
Angststörungen, PTBS, Depression
Inhalations- und Passivrauchen –
Schichtarbeit mit Nachtschichten –
Diabetes mellitus und metabolisches Syndrom –
Stress –
Die HRV folgt einem zirkadianen Rhythmus: während des Schlafs erreicht sie ein Maximum und fällt mit dem Sympathokitonus des Tages ab.
Um die Herzratenvariabilität sinnvoll zu nutzen, kann sie als skalare Größe (Meßzahl) für einen bestimmten Zeitraum angegeben werden oder in Echtzeit über ein festzulegendes Zeitintervall als gleitendes Mittel angegeben werden. Die wichtigste Bewertung der in die HRV einfließenden R-R-Abstände (im Sinne des EKG, allgemein: der Herzkontraktionen) ist die RMSSD (Root Mean Square of Successive Differences), also die Wurzel aus der Summe der Quadrate der Abstände. Da die HRV mit dem Alter abnimmt, wird sie oft für Altersklassen angegeben, etwa wie folgt (Lj: HRV-Intervall) in einer kalifornischen Studie:
10 – 19: 25 ± 9
20 – 29: 43 ± 9
30 – 39: 35 ± 11
40 – 49: 31 ± 11
50 – 59: 25 ± 9
60 – 69: 22 ± 6
70 – 79: 22 ± 7
80 – 99: 21 ± 6
In dieser Studie ist gut zu erkennen, wie die HRV ab der Adoleszenz mit dem Alter abnimmt.